Tokio – Wo zerbrochene Teile aufeinandertreffen, können tiefgreifende Einsichten entstehen. Die Ausstellung „Between the Fragments“ in der JPS Gallery Tokio inszeniert einen beispiellosen Dialog zwischen Quantenphysik und der feministischen Rückeroberung des Körpers durch die visionären Werke von Jiwon Kim und Naoto Fuchigami. Obwohl ihre Ansätze gegensätzlich erscheinen – Kim näht akribisch fragmentierte weibliche Formen auf Hanji-Papier, um gesellschaftliche Wunden in heilende Erzählungen zu verwandeln, während der Physiker und Künstler Fuchigami makellose Siliziumwafer bewusst zu elementarem Staub pulverisiert –, treffen sie an einem bemerkenswerten Punkt zusammen: Dort, wo Wahrheit und Schönheit weder in der Ganzheit noch allein in der Fragmentierung gedeihen, sondern in den spannungsgeladenen Zwischenräumen.
Jiwon Kim: Aufstand gegen Schönheitsnormen durch Nadel und Faden
Im Zentrum von Kims bewegenden Arbeiten steht ein intimer Akt der Rebellion gegen konventionelle Schönheitsideale. Hauptsächlich auf traditionellem koreanischem Hanji-Papier arbeitend, verwandelt sie die weibliche Form in tiefgründige Aussagen über Identität und Selbstakzeptanz. Ihr unverwechselbarer Prozess – das bewusste Fragmentieren, Verzerren und Überzeichnen von Körperformen, bevor sie diese sorgfältig wieder zusammennäht – geht über reine künstlerische Technik hinaus und wird zu einem zutiefst persönlichen Ritual der Heilung und Reinigung.
Jeder Stich repräsentiert Kims Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Überwindung von Körperkomplexen und den unerbittlichen ästhetischen Erwartungen der Gesellschaft. Diese Fragmentierung und Wiederherstellung dienen als kraftvolle Metapher für die universelle menschliche Reise zur Selbstakzeptanz. Kim fordert die Betrachter heraus, ihre Beziehung zum gesellschaftlichen Druck zu hinterfragen und die authentische Schönheit zu entdecken, die entsteht, wenn wir unsere natürlichen Formen annehmen – Verletzlichkeit wird zu Stärke, Unvollkommenheit zu Kunst.
Naoto Fuchigami: Die Philosophie des technologischen Staubs
In magnetischem Kontrapunkt dazu existiert Fuchigamis Werk an der elektrisierenden Schnittstelle von Quantenwissenschaft und ursprünglichem künstlerischem Ausdruck. Mit seiner revolutionären „ℏ Serie“ verwandelt er Siliziumwafer – die Halbleiter, die das Rückgrat unserer digitalen Zivilisation bilden – in rohe, elementare Formen, die unser fundamentales Verständnis der Realität selbst herausfordern.
Indem er Halbleiter methodisch zu Fragmenten und Pulver zermahlt, vollzieht Fuchigami ein symbolisches Ritual: Er führt die Technologie auf ihren materiellen Urzustand zurück. Diese bewusste Dekonstruktion dessen, was die moderne Gesellschaft schätzt, offenbart tiefgreifende Wahrheiten über die kognitiven Grenzen der Menschheit und kritisiert gleichzeitig unsere Tendenz zur Vereinfachung über Disziplinen hinweg. Sein Prozess enthüllt die unheimlichen Eigenschaften der Elemente, aus denen unsere Realität besteht, und hinterfragt, wie wir unser Verständnis der Existenz kategorisieren, interpretieren und verbalisieren. Fuchigamis Kompositionen erzeugen eine spürbare Spannung zwischen Ordnung und Chaos, Präzision und Mehrdeutigkeit, wissenschaftlicher Gewissheit und philosophischer Fragestellung.
Fragmente der Wahrheit: Kunst der Dekonstruktion
Im außergewöhnlichen Dialog zwischen den Arbeiten von Jiwon Kim und Naoto Fuchigami erleben wir eine aufschlussreiche Erkundung der komplexen Beziehung der Menschheit zu Fragmentierung und Rekonstruktion. Von den makellosen Siliziumwafern, die unsere digitale Beschleunigung antreiben, bis zu den intimen Wunden der Körperdysmorphie, die dieselbe technologische Gesellschaft verursacht, beleuchten diese Visionäre eine tiefgreifende Wahrheit: Unsere authentischsten Verbindungen zur Realität entstehen genau dann, wenn wir die Rahmenbedingungen hinterfragen, durch die wir die Existenz wahrnehmen.
Die Künstler
Jiwon Kim (geb. 1998, Südkorea) schloss 2025 ihr Masterstudium in Ölmalerei an der Musashino Art University ab. Ihre Arbeit wurzelt in der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichem Druck bezüglich Schönheitsidealen und den daraus resultierenden persönlichen Kämpfen, die sie durch ihre Kunst verarbeitet und sublimiert.
Naoto Fuchigami (geb. 1995, Japan) studierte Physik an der Kansai University und arbeitete als Systemingenieur, bevor er sich 2021 der Kunst widmete. Ausgehend von seinem Interesse an Quantenphysik erforscht er die Struktur der materiellen Welt aus einer mikroskopischen Perspektive und hinterfragt die Beziehung zwischen Materie und Menschheit.
Ausstellungsinformationen:
- Vernissage: Freitag, 2. Mai 2025, 17:00 – 20:00 Uhr
- Ausstellungsdauer: 3. Mai – 1. Juni 2025
- Ort: JPS Gallery (Tokio), 1/F, Tobu 2nd bldg, 6-27-4, Jingumae, Shibuya-ku, Tokio 150-0001, Japan