Der Desert Botanical Garden zeigt FRAMERATE: Desert Pulse, eine Installation des britischen Studios ScanLAB Projects, die über zwölf Monate hinweg nahezu tägliche, oft kaum wahrnehmbare Veränderungen in Phoenix und der weiteren Sonora-Wüste erfasst. Mit eigens entwickelten 3D-Scanverfahren verknüpft das Projekt Kunst, Umweltbeobachtung und Klanggestaltung, um Prozesse sichtbar zu machen, die dem menschlichen Blick meist entgehen. Der Garten versteht den Auftrag zugleich als Dokumentation und als öffentliche Erfahrung: ein fortlaufendes Register des Wüstenrhythmus und eine Einladung, einem fragilen Ökosystem geduldig zuzusehen.
Die Installation entfaltet sich zwischen Kakteen und Pfaden mit vier monumentalen, räumlich angelegten Bildschirmarbeiten im Freien, ergänzt durch eine multikanalige Präsentation in der RAF Exhibit Gallery. Die Soundlandschaften von Pascal Wyse erden ein Bildvokabular aus Punktwolken, Fotografie, Zeitraffersequenzen und räumlichem Audio. Das Publikum begegnet einem Mosaik von Phänomenen — von Blühzyklen und Sedimentverschiebungen bis zu Phasen der Regeneration — übersetzt in Bild und Klang. Im Vordergrund steht die Beobachtung, nicht der Effekt; eingeladen wird zu einer genauen Aufmerksamkeit für die kleinen, additiven Takte, mit denen Landschaft Zeit einschreibt.
Desert Pulse erweitert die laufende Serie FRAMERATE von ScanLAB. Für diese Ausgabe nutzt das Studio ein eigenes Zeitraffer-3D-Scanverfahren auf Basis von LiDAR, um dieselben Orte in regelmäßigen Abständen über ein ganzes Jahr hinweg zu erfassen. Der so entstandene Datensatz, unter konstanten Bedingungen und aus exakt wiederholbaren Perspektiven aufgenommen, macht minimale Verschiebungen in Struktur und Oberflächenaktivität sichtbar, die konventioneller Fotografie oder kurzer Feldbeobachtung entgehen. Durch das wiederkehrende Aufsuchen von Standorten in Phoenix und der Sonora-Wüste entsteht ein Bild-für-Bild-Protokoll langsamer, kumulativer Veränderungen — ausgestellt im Maßstab der Architektur.
Die Dimension des Vorhabens ist beachtlich. Der Garten beschreibt Desert Pulse als bisher ambitioniertesten Teil der Serie, erweitert auf ein Netz von Wüstenstandorten und präsentiert in raumgreifenden Setzungen. Produktion und Logistik gehören ausdrücklich zur Geschichte: Das Team nutzt elektrische Rivian R1T, um täglich fünfzehn Standorte zu erreichen — eine Praxis, die die Feldarbeit mit einem gemeinsamen Nachhaltigkeitsanspruch von Garten und Studio verbindet. Der Schulterschluss setzt auf Emissionsreduktion und langfristige Umweltverantwortung und schreibt operative Entscheidungen in die künstlerische Logik der Arbeit ein.
Nachhaltigkeit wird im Parcours selbst thematisiert. Eine begleitende Präsentation, “Making Desert Pulse”, legt offen, wie ScanLAB und der Garten die Auswirkungen des Projekts in Erfassung, Aufbau und Ausstellung gemessen und gemindert haben. Die Organisator:innen rechnen mit 140,64 tCO2e Gesamtemissionen und kündigen an, dass die Arbeit durch Reduktions- und Kompensationsmaßnahmen als klimaneutral zertifiziert wird. Mit dieser Transparenz überführt das Projekt seinen dokumentarischen Anspruch in die Reflexion der eigenen Herstellung.
Das öffentliche Programm weitet den Fokus auf Beobachtung und Ort aus. Parallel zur Ausstellung bietet der Garten Formate zu Community-Erzählungen, Field-Sketching und Journaling, Spotlights für Nachwuchskünstler:innen, fotografische Zeitstudien in der Sonora-Wüste sowie Gesprächsreihen. Formate wie “Barflies Presents: Rooted: Voices of Our Community”, “Nature Journaling: Sketching through Time”, “Desert Studio: Emerging Artists Series”, “Seeing Time Series: A Photographer’s Journey through Change in the Sonoran Desert”, “Desert Views: A Conversation Series” sowie abendliche “Pulse Parties” eröffnen vielfältige Einstiegspunkte. Allen gemeinsam ist die Frage, wie sich graduelle, doch folgenreiche Veränderungen sehen und verhandeln lassen.
ScanLAB Projects — geleitet von Matt Shaw und William Trossell — genießt internationale Anerkennung dafür, Instrumente der Maschinenwahrnehmung in den Dienst ästhetischer und dokumentarischer Anliegen zu stellen. Die Praxis des Studios kreist um ein charakteristisches Punktwolken-Vokabular und um das anhaltende Interesse, wie Technologie Schönheit, Verletzlichkeit und Resilienz von Umwelten sichtbar machen kann. Die Spannweite früherer Arbeiten reicht von der Dokumentation ehemaliger Konzentrationslager und schwindender arktischer Eismassen bis zur Anlage räumlicher Archive kultureller Orte wie dem Büro von Stephen Hawking — ein fortlaufendes Inventar von Räumen und Prozessen, die dem Verlust oder Missverständnis ausgesetzt sind. Der rote Faden ist die Übersetzung komplexer, oft unsichtbarer Dynamiken in öffentlich lesbare Formen.
Das Team ist bewusst interdisziplinär aufgestellt — mit Architekt:innen, Handwerker:innen, Fotograf:innen, Ingenieur:innen, Dokumentarfilmer:innen und Software-Entwickler:innen. Kooperationen mit Choreograf:innen, Musiker:innen, Autor:innen, Technolog:innen, Klimawissenschaftler:innen und Hochschulpartnern erlauben dem Studio, zwischen Museumsraum und anderen öffentlichen Sphären wie Performance, Journalismus und Umweltvermittlung zu pendeln. Gezeigt wurde die Arbeit u. a. in der Royal Academy (UK), im LACMA (USA), bei der Biennale di Venezia (IT), im Louisiana Museum of Modern Art (DK), im Barbican (UK), in The Photographers’ Gallery (UK), bei der STRP Biennial (NL), in Espacio Fundación Telefónica (ES), im Southbank Centre (UK), im Science Museum (UK), im New Museum (USA), bei CPH:DOX (DK), SXSW (USA), im Berliner Ensemble (DE) und bei Tribeca (USA). Mediale Resonanz kam u. a. von BBC, PBS, National Geographic, Arte, Nature, The New York Times und The Guardian; zu den Partnern zählten Danny Boyle, Greenpeace, Apple, MIT, Forensic Architecture und die University of Cambridge.
Der Desert Botanical Garden ist ein präzise gewählter Rahmen für ein Projekt über Wüstenökologien. Die Institution verfügt über fünf thematische Rundwege und eine lebende Sammlung von rund 50.000 Pflanzen mit dauerhaftem Schwerpunkt auf der Sonora-Wüste. Neben Forschung und Artenschutz entwickelt der Garten Ausstellungen, Saisonprogramme und Bildungsangebote für ein breites Publikum. FRAMERATE: Desert Pulse zwischen Saguaro-Kakteen und Chollas und nicht in einer klassischen White-Cube-Situation zu platzieren, schärft die These, dass Sujet und Ort untrennbar zusammengehören. Die Verortung inmitten einer lebenden Sammlung lädt dazu ein, die Zeitregime der Bilder mit den Pflanzen und dem Gelände ringsum in Beziehung zu setzen.
Praktische Hinweise bleiben übersichtlich. Der Garten verweist darauf, dass Tickets und allgemeine Informationen auf der Website verfügbar sind, und betont die Anziehungskraft des Projekts für Design- und Kunstinteressierte, für Menschen, die sich mit Umweltwandel und Datenvisualisierung beschäftigen, sowie für Anwohner:innen, die ihre vertraute Umgebung neu lesen möchten. Die Dramaturgie — verteilte Screens im Freien, fokussiertes Sehen im Innenraum — begünstigt Wiederbesuche und unterschiedliche Begegnungen und spiegelt die kumulative Methode der Arbeit.
Im Kern schlägt FRAMERATE: Desert Pulse eine Art des Sehens vor: keine einzige Panoramasicht der Wüste, sondern eine Folge — ein Hauptbuch kleiner Verluste und Zugewinne, eingeschrieben in die Zeit. Indem dieses Hauptbuch im menschlichen Maßstab erfahrbar wird, zeigen der Garten und ScanLAB Projects die Sonora-Wüste als einen Ort kontinuierlicher, lesbarer Veränderung, der anhaltender Aufmerksamkeit bedarf, und binden zugleich die eigene Produktion in die Debatte um Wirkung und Verantwortung ein.
Ort und Termine: Desert Botanical Garden, 1201 N Galvin Pkwy, Phoenix, AZ 85008 — 11. Oktober 2025 bis 10. Mai 2026.