Der brasilianisch-amerikanische Cellist Gabriel Martins gibt in der Weill Recital Hall der Carnegie Hall ein Rezital im Rahmen seiner Auszeichnung durch den American Recital Debut Award – am Klavier begleitet von Victor Santiago Asunción. Das Programm spannt den Bogen von barocker Fundamentarbeit über klassisches Idiom bis hin zum spätromantischen Duo, mit einem markanten Akzent der lateinamerikanischen Moderne. Der Auftritt ist Teil einer Initiative, die einen prominenten New-York-Auftritt mit Mentoring und einer mehrsaisonigen Förderung für künstlerisch vielversprechende Musiker verbindet.
Eröffnet wird der Abend mit Bachs Suite für Violoncello Nr. 2 d-Moll, einem Werk, das Martins als zentral für seine künstlerische Identität beschreibt und das ihm als Bezugspunkt für Klangvorstellung, Formarchitektur und weit gespannte Linien dient. In den begleitenden Materialien bezeichnet er die sechs Suiten als „heiligen Text“ des Cellos und hebt an der Zweiten Suite deren „Fähigkeit zu Dunkelheit, Tiefe und Menschlichkeit“ hervor. Als Auftakt ohne Klavier definiert diese Musik die Dramaturgie des Rezitals: von der solistischen Keimzelle zu Duo-Werken, die die Farbskala erweitern, ohne die Klarheit der Linie preiszugeben.
Es folgt Martins’ eigene Übertragung von Mozarts Sonate für Violine e-Moll, KV 304, auf das Violoncello. Die kompakte Anlage und die ökonomische Motivik der Partitur, so der Cellist, eigneten sich in besonderem Maße für sein Instrument; ihre „zarte Melancholie und anmutige Lyrik“ entfalteten sich überzeugend in der vokalen Mittellage des Cellos. Die Bearbeitung ist Teil eines größeren, selbst initiierten Projekts, ausgewählte Mozart-Werke in das Cello-Repertoire zu integrieren, und führt Asunción als gleichwertigen Partner in den dialogischen Mittelteil des Abends. Programmatisch betrachtet erscheint ein vertrautes klassisches Argument in neuem Licht – mit dem Dialog zwischen Klavier und Saite im Zentrum.
Mit Alberto Ginasteras Pampeana Nr. 2 vollzieht sich der idiomatische Wechsel. Das Stück, der Cellistin Aurora Natola-Ginastera gewidmet, schöpft aus den offenen Horizonten und dem pulsierenden Rhythmus der argentinischen Pampa und setzt damit bewusst einen Kontrast zur klassizistischen Zurückhaltung des vorangegangenen Mozart. Martins ordnet die Pampeana Nr. 2 „unter die bedeutendsten Kompositionen für Cello und Klavier, die außerhalb Europas entstanden sind“ – ein Repertoire-Statement, das kanonische Literatur mit einer modernen, lateinamerikanisch geerdeten Stimme ausbalanciert. Für das Publikum dürfte dies der extrovertierteste Beitrag des Abends sein, bevor das Programm auf seinen romantischen Schluss zusteuert.
Gabriel Faurés Papillon markiert den leichtesten Fußabdruck des Rezitals. Ursprünglich schlicht Pièce betitelt, erhielt die Miniatur ihren heutigen Namen, nachdem der Verleger ihr „flatterndes“ Gepräge bemerkte. Innerhalb der Programmdramaturgie fungiert die kurze, virtuos gehaltene Charakterstudie als bewusster Reset zwischen der konzentrierten Rhetorik Mozarts, der weitgespannten Geste Ginasteras und dem sinfonischen Gewicht des Finales. Die Platzierung folgt einer verbreiteten Rezital-Praxis: eine pointierte Zwischenstück-Etappe, die das Ohr klärt, bevor ein großformatiges Schlusswerk übernimmt.
Den Abschluss bildet Johannes Brahms’ Sonate für Violoncello und Klavier Nr. 1. Martins nennt sie „ein frühes Meisterwerk, voller jugendlicher Aufrichtigkeit und unverwahrter Schönheit“ – für viele Interpretinnen und Interpreten eine Partitur, die ihre Bindung an das Instrument nachhaltig geprägt hat. In der Aufführungssituation führt die Sonate das Duo zu einem bassfundierten, kontrapunktischen Diskurs, der Balance und Ausdauer beider Partner fordert und zugleich der Intimität des Saals entspricht. In der Schlussposition schließt sie den programmatischen Bogen von barocker Solokunst zu einer romantischen Zweierarchitektur, getragen von struktureller Gravität und langem Atem.
Den übergeordneten Rahmen liefert der American Recital Debut Award. Gegründet von Pianist und Kulturmanager Victor Santiago Asunción zum Gedenken an den Cellisten Lynn Harrell, unterstützt die Initiative herausragende Nachwuchsmusikerinnen und -musiker der Klassik mit drei Bausteinen: einem Konzert an einer international beachteten Spielstätte, professioneller Mentorschaft durch ein künstlerisches Beratergremium sowie Folgeengagements über drei aufeinanderfolgende Spielzeiten. Dem Advisory Board gehören der GRAMMY®-prämiierte Cellist Zuill Bailey, der Cellist und Stiftungsleiter Evan Drachman, die Sopranistin Margarita Gomez Giannelli sowie Asunción an. Die Auswahl trifft Asunción gemeinsam mit einer Gruppe profilierter Musikerinnen und Musiker unter der Leitung Baileys – mit Blick auf künstlerische Substanz, publikumsbildende Fähigkeiten im Saal wie im Digitalen und Anpassungsfähigkeit an veränderte Rahmenbedingungen. Asunción, langjähriger Kammermusikpartner Harrells, beschreibt das Programm als Fortführung der Mentorship-Erfahrungen aus dieser Zusammenarbeit.
Martins zählt zu zwei Preisträgern des aktuellen Zyklus. In seinem Werdegang finden sich der Grand Prize des Concert Artists Guild/Young Classical Artists Trust, die Goldmedaille des Sphinx Competition und die Goldmedaille des David-Popper-Wettbewerbs, flankiert von weiteren Auszeichnungen aus früheren Ausbildungsjahren. Darauf folgten Debüts in der Carnegie Hall, im Wigmore Hall, im 92nd Street Y und im Merkin Hall sowie Auftritte im Großen Saal des Moskauer Konservatoriums und Solistenengagements mit Orchestern in Nord- und Südamerika. Rundfunkübertragungen bei NPR, WQXR, KUSC und WFMT erweiterten die Sichtbarkeit über den Konzertsaal hinaus; Festivalstationen umfassten Aspen, Ravinia, La Jolla, Yellow Barn, ChamberFest Cleveland und Mainly Mozart.
Die Kritik hebt wiederholt technische Souveränität und erzählerische Klarheit hervor. Über ein New-York-Rezital mit Bach-Programm schrieb The Strad von „einer tief bewegenden Erfahrung“; andere Besprechungen betonen einen „reichen, fesselnden Klang“ und Martins’ Profil im Bach-Kanon. Neben dem Konzertrepertoire lenkten seine eigenen Übertragungen der Bach-Violinstücke Aufmerksamkeit auf sich, die er gesamthaft aufnimmt. Biographische Angaben nennen prägende Studien bei Ralph Kirshbaum (USC Thornton) und Laurence Lesser (New England Conservatory), den Lebensmittelpunkt in Charleston (South Carolina) sowie ein Cello von Francesco Ruggieri (um 1690) in Kombination mit einem Bogen von François Nicolas Voirin.
Victor Santiago Asunción wirkt im Rezital nicht nur als Preisstifter. Der als Steinway Artist geführte Pianist, von der Washington Post für „gelassenes, einfallsreiches Spiel“ gewürdigt, ist international als Rezitalist und Solist tätig und ein gefragter Kammermusikpartner namhafter Streicherinnen, Streicher und Ensembles – darunter Lynn Harrell, Zuill Bailey, Antonio Meneses, Joshua Roman, Giora Schmidt sowie die Dover-, Emerson- und Vega-Quartette. Festivalseitig unterrichtete er im Kammermusik-Fakultätsteam des Aspen Music Festival und trat u. a. bei Amelia Island, Highland-Cashiers, Music in the Vineyards und in Santa Fe auf. Zu seinen Einspielungen zählen die komplette Beethoven-Sonatenreihe für Klavier und Violoncello sowie Sonaten von Schostakowitsch und Rachmaninow mit dem Cellisten Joseph Johnson; hinzu kommen gemeinsame Produktionen mit Evan Drachman und die Mitwirkung an Songs My Father Taught Me mit Lynn Harrell. Asunción ist zudem Gründer und Künstlerischer Leiter der FilAm Music Foundation, die philippinische Klassik-Talente mit Stipendien und Auftrittsmöglichkeiten fördert.
In Summe privilegieren Preisrahmen und Programmlinie Kontinuität gegenüber Neuheit um ihrer selbst willen: ein unbegleitetes barockes Fundament, eine klassische Sonate im Timbre des Cellos neu beleuchtet, eine lateinamerikanische modernistische Farb- und Rhythmusfläche, eine kurze französische Charakterstudie und eine romantische Sonate als Zusammenführung der Fäden. Die Struktur macht Martins’ Prioritäten sichtbar – klangliche Bandbreite, formale Lesbarkeit und die Bereitschaft, Repertoire aufzunehmen und produktiv umzuformen – und entspricht zugleich dem Ziel des Preises, Künstlerinnen und Künstler zu stärken, die tragfähige Karrieren auf Bühne und Plattform entwickeln.
Programm: Bach — Suite für Violoncello Nr. 2; Mozart — Sonate für Violine e-Moll, KV 304 (für Violoncello transkribiert); Ginastera — Pampeana Nr. 2; Fauré — Papillon; Brahms — Sonate für Violoncello und Klavier Nr. 1. Mitwirkende: Gabriel Martins, Violoncello; Victor Santiago Asunción, Klavier.
Termine (am Ende aufgeführt): Rezital — Samstag, 13. Dezember 2025, 19:30 Uhr, Weill Recital Hall at Carnegie Hall, New York. Pressemitteilung — 21. Oktober 2025.