Die späten Gemälde und Zeichnungen von Maria Lassnig machen den Körper zum Erkenntnisinstrument statt zum bloßen Gegenstand der Darstellung. Eine konzentrierte Präsentation in Hongkong versammelt Leinwände und Arbeiten auf Papier aus den Jahren 1987 bis 2008 und bündelt die Untersuchung, die die Künstlerin als „Körperbewusstsein“ bezeichnete: die Überzeugung, dass Empfindung—Druck, Schmerz, Atem, Gewicht—eine verlässlichere Grundlage für das Bild liefert als Spiegel oder Kamera. Die Auswahl stellt Selbstporträts neben Maschinen, Tiere und abstrakte Strukturen und zeichnet nach, wie innere Zustände das „retinale Bild“ durch somatische Evidenz verdrängen.
Zentrum der Schau ist „Selbst mit Drachen (Self with Dragon)“ (2005), in dem das mythische Wesen weniger als Gegenspieler denn als Erweiterung des Ichs erscheint. Lassnig setzt den Drachen als Messskala von Spannungen ein—als Verkörperung eindringender Kräfte, die zugleich inneren und äußeren Ursprungs sind. Diese Aushandlung zwischen Bedrohung und Wiedererkennen hallt in den umliegenden Arbeiten nach, in denen Körper gekürzt, hybridisiert oder mit Apparaten gekoppelt sind—nicht als Effekt, sondern um Empfindung an ihrem Entstehungsort zu protokollieren.
„Viktory (Victory)“ (1992) destilliert diese Logik in eine strenge, emblematische Geometrie. Ein breites, kantiges „V“—zugleich Haltung und Zeichen—gliedert das Bildfeld und verschränkt körperliches Fühlen mit symbolischer Architektur. Der Buchstabe fungiert als Gerüst der Emotion und zeigt, wie Zeichensysteme die Erfahrung des Körpers strukturieren. Statt eines Triumphs liest sich die Leinwand als Diagramm der Standhaftigkeit unter Druck.
Mehrere Gemälde treiben die Abstraktion voran, ohne das Selbst preiszugeben. In „Selbst abstrakt I / Bienenkorb Selbst (Self Abstract I / Beehive Self)“ (1993) nimmt der Kopf die Belüftung und Massierung eines Bienenkorbs an—ein Gefäß voller Summen, Wärme und Druck. „Selbst als Blüte (Self as a Flower)“ (1993) bringt alternde Haut mit botanischer Struktur in Beziehung, analytisch statt sentimental, und behauptet eine Kontinuität zwischen menschlicher und pflanzlicher Anatomie. Diese Arbeiten funktionieren wie Querschnitte des Fühlens: Schwellung, Pulsation und Kontraktion werden in Form übersetzt.
Das Papierwerk verankert die Präsentation im Präsens. Für Lassnig ist Zeichnung ein Seismograf—am nächsten am Augenblick—der es einer einzigen Linie erlaubt, den Übergang von Einsamkeit zu Beziehung zu notieren. In „Liegende (Reclining Figures)“ (2000) und „Liebespaar (Lovers)“ (2003) nähern sich die Figuren an und entfernen sich wieder, ohne in einem festen Umriss zu erstarren. „Mr and Mrs Kliny“ (2004) hält diese Ambivalenz, skizziert ein Duo, dessen Kräfteverhältnis bewusst offen bleibt. Monochrome Blätter wie „Ober und Unterkörper (Torso and Lower Body)“ (1990) und „Die Vielfalt (Diversity)“ (2003) reduzieren die Figur auf Druckpunkte; die Ökonomie wird zur Strategie, Krümmungen und Kompressionen zu isolieren, die Farbe überzeichnen könnte. Die von der Künstlerin betonte Autonomie jedes Blattes—niemals bloße Vorstufe zu einem „definitiven“ Öl—unterstreicht die Ethik der Aufmerksamkeit, die die Schau zusammenhält.
In der Summe behaupten diese Gemälde und Zeichnungen Empfindung als Form von Wissen und den Körper als poröse Oberfläche, auf der die Welt ihre Spuren hinterlässt. Maschinen, Tiere und alphabetische Zeichen sind keine äußeren Requisiten, sondern Sprachen, mit denen das Selbst Wirkung misst. Die daraus entstehenden hybriden und partiellen Figuren sind Instrumente, keine Bruchstücke: präzise Werkzeuge zur Aufzeichnung von Intensitäten, die das konventionelle Porträt übersieht. Die Zurückhaltung des Ausstellungsarrangements—knappe Auswahl, klare Lesbarkeit, maßvolle Gegenüberstellungen—erlaubt es den Werken, als Fallstudien der Wahrnehmung zu wirken, jede mit einem eigenen Protokoll, das einen inneren Zustand in sichtbare Form übersetzt.
Entsteht so eine Absage an Ähnlichkeit? Eher eine Neudefinition. Lassnig malt, wie es sich anfühlt, einen Kopf zu bewohnen—nicht, wie ein Kopf aussieht; sie zeichnet Beziehung als Verschiebung von Konturen statt als erzählerische Szene. Damit erweitert sie das Vokabular des Selbstporträts und lässt Diagramme, Embleme und mythische Stellvertreter als legitime Register des Ichs gelten. Es entsteht ein Werkkomplex, der Genauigkeit—verstanden als Erfahrungs-Treue—anstrebt, indem er auf die Bequemlichkeiten rein optischer Beschreibung verzichtet.
Ort und Daten: Hauser & Wirth Hongkong — 26. September 2025 bis 28. Februar 2026.



