Das MUSAC — Museo de Arte Contemporáneo de Castilla y León — präsentiert einen umfangreichen Überblick über das Schaffen von Yoko Ono. Mehr als siebzig Arbeiten auf rund 1.700 Quadratmetern zeichnen eine Laufbahn nach, die sich souverän zwischen Performance, konzeptueller und partizipativer Kunst, Film, Klang, Installation, Malerei und Fotografie bewegt. Der Ausstellungstitel „Yoko Ono. Insound and Instructure“ greift einen frühen Moment in Onos Werdegang auf und benennt die zentrale Prämisse: die Verbindung des Akustischen mit der auf Anweisungen basierenden Form, die ihr Werk seit Jahrzehnten trägt. Im Mittelpunkt steht dabei die Idee — Kunst als Vorschlag, Partitur oder Einladung —, nicht der materielle Gegenstand.
Kuratiert von Jon Hendricks, Connor Monahan und Álvaro Rodríguez Fominaya, gilt die Präsentation als eine der umfangreichsten, die Ono in Spanien in den letzten Jahren gewidmet wurden. Der Parcours spannt einen Bogen von den formativen Anfängen bis in die Reifephasen, stellt kanonische Werke neben partizipative Umgebungen und jüngere Installationen und verdeutlicht dabei eine Konstante ihres Œuvres: die aktive Rolle des Publikums bei der Realisierung oder Vollendung der Arbeit.
Die Auswahl betont mehrere frühe Wegmarken, die die Sprache von Performance und Konzeptkunst entscheidend geprägt haben. „Cut Piece“ wird im Dialog mit weiteren instruktionalen Arbeiten gezeigt, die die Betrachtenden zu Mitautorinnen und Mitautoren machen — darunter „Voice Piece for Soprano“ und „Draw Circle Painting“, das erst durch öffentliche Beteiligung seine volle Gestalt erhält. Ergänzt wird dies durch partizipative Umgebungen wie „A MAZE“, ein begehbares Labyrinth, und „EN TRANCE“, eine architektonische Schwelle, die als Prolog und Setzung fungiert. Beim Durchschreiten dieser Arbeiten wird erfahrbar, wie Onos Anweisungen in leibliche Situationen übergehen — Gehen, Hören, Sprechen, Entscheiden — und Kunst so zu einer Praxis der Aufmerksamkeit und der Handlungskompetenz wird, nicht zu einem bloßen Objekt der Betrachtung.
Der Blick des MUSAC beschränkt sich nicht auf kanonisierte Kapitel. Die Einbindung jüngerer Projekte zeigt die Kontinuität von Motiven, die sich durch Jahrzehnte ziehen. „DOORS“ und „INVISIBLE FLAGS“ erweitern Onos langjährige Auseinandersetzung mit Frieden, gesellschaftlicher Imagination und der Neubewertung vertrauter Strukturen und Symbole. Wie in früheren Werken beruhen diese Installationen auf knappen Setzungen und minimalen Eingriffen, die dazu einladen, über Wahrnehmungsverschiebungen als Voraussetzung kollektiver Reflexion nachzudenken.
Der Film — ein Kernstrang ihres Schaffens — ist in einer konzentrierten Auswahl präsent. Titel, die Ono allein oder gemeinsam mit John Lennon realisierte, darunter „Rape“, „Fly“ und „Freedom“, rücken Fragen in den Vordergrund, die ihr Gesamtwerk durchziehen: Intimität und Ausgesetztsein, die Politik des Blicks und des Angeschautwerdens, die Elastizität der Wahrnehmung über die Zeit. In der Nachbarschaft zu Instruktionsarbeiten und partizipativen Umgebungen wird die transmediale Kohärenz ihrer Methode deutlich. Ob auf der Seite, im Ausstellungsraum oder auf der Leinwand — häufig beginnt das Werk mit Sprache: einem kurzen Satz, einer Partitur, einer Handlungsanweisung, die die Bedingungen für ein Ereignis setzt. Das Ergebnis ist weniger ein fertiges Produkt als eine aktivierte Situation.
Die Präsentation in León steht im Kontext einer breiteren institutionellen Neubewertung von Onos Werk. Große Häuser haben der Künstlerin zuletzt umfangreiche Ausstellungen gewidmet — ein Hinweis auf die anhaltende Relevanz ihrer Arbeit für gegenwärtige Debatten über Partizipation, Autor*innenschaft, Aktivismus und die gesellschaftliche Funktion der Kunst. Vor diesem Hintergrund fungiert die Schau im MUSAC sowohl als Einführung für neue Besucherinnen und Besucher als auch als vertiefte Begegnung für mit dem Werk Vertraute und verortet Ono nicht am Rand der Nachkriegskunst, sondern im konzeptuellen und performativen Zentrum dieser Epoche.
Ein knapper biografischer Rahmen hilft, die Entwicklung des instruktionalen Ansatzes zu verorten, der die Ausstellung prägt. In Tokio geboren, verbrachte Ono prägende Jahre in den USA, bevor sie sich in New York niederließ. Als erste Frau im Philosophieprogramm der Universität Gakushuin und später Studentin am Sarah Lawrence College arbeitete sie in überlappenden Gemeinschaften von Künstlerinnen und Komponistinnen und entwickelte eine Praxis, die Ideen und Partituren gegenüber konventionellen Objekten privilegiert — mit der Einladung an das Publikum, die Arbeit in die Tat umzusetzen.
In Lower Manhattan mietete Ono ein Loft, von dem aus sie gemeinsam mit dem Komponisten La Monte Young Aktionen und Veranstaltungen organisierte, die für die aufkommende experimentelle Szene der Stadt prägend wurden. Ihre erste Einzelausstellung in der AG Gallery zeigte „Instruction Paintings“, darunter die inzwischen emblematische „Painting to Be Stepped On“. Im Carnegie Recital Hall präsentierte sie Arbeiten, die Bewegung, Klang und Stimme verbanden. Zurück in Tokio gab sie neue Performances im Sogetsu Art Center und konsolidierte einen entscheidenden Schritt hin zur reinen Instruktionsarbeit: Werke, die ausschließlich aus schriftlichen Anweisungen bestehen und den materiellen Gegenstand durch die Idee ersetzen. In dieser Zeit ging sie auch mit John Cage und David Tudor auf Tour, was die Verschränkung von Kunst und experimenteller Musik weiter vertiefte. Der Band Grapefruit destillierte den Geist dieses Ansatzes in einer kompakten Sammlung von Partituren.
Zurück in New York setzte Ono das Veranstalten von Events, Post- und Werbeinterventionen fort, schrieb instruktionale Filmskripte und drehte eigene Kurzfilme. Einladungen nach London brachten sie in den Kreis der Künstler*innen um das Destruction in Art Symposium und führten zu Ausstellungen in der Indica und der Lisson Gallery. Konzeptuelle Objektarbeiten wie White Chess Set, Apple und Half-A-Room standen neben einer neuen Fassung von Film No. 4 (Bottoms) sowie einer Reihe von Auftritten unter dem Titel „Music of the Mind“. In der Indica Gallery lernte sie John Lennon kennen — Beginn einer kreativen Partnerschaft, die Kunst, Film und Musik ebenso umfasste wie öffentlichkeitswirksame Formen des Aktivismus.
An Lennons Seite weiteten sich Onos konzeptuelle Strategien zu weithin sichtbaren Friedensinitiativen aus, darunter die Kampagne „WAR IS OVER! If you want it“ und die Bed-Ins for Peace. Diese Aktionen überführten die Logik der Anweisung in die zivile Sphäre: ein Aufruf, andere gesellschaftliche Beziehungen zu denken und zu erproben. In den Folgejahren veröffentlichte Ono mehrere Solo- und Gemeinschaftsalben und realisierte Filme wie FLY, Freedom, Rape, Apotheosis und Imagine, parallel zu musealen Experimenten, die die Grenzen zwischen Institution und konzeptueller Geste befragten. Musik, so betonte sie, war in einer von persönlichen Erschütterungen geprägten Phase ein Halt.
Die institutionelle Anerkennung ihres visuellen Werks wuchs danach deutlich. Eine Präsentation im Whitney Museum markierte erneute Aufmerksamkeit, gefolgt von der mehrteiligen Retrospektive Yes Yoko Ono der Japan Society Gallery, die international an zahlreiche Orte reiste. In Island wurde mit dem IMAGINE PEACE TOWER ein dauerhaftes Monument für das gemeinsame Friedensengagement errichtet. Hinzu kamen eine bedeutende Auszeichnung für das Lebenswerk bei der Biennale von Venedig sowie weitere Alben, die Material aus unterschiedlichen Schaffensphasen neu auslegten. Großausstellungen im Museum of Modern Art (New York), im Museum of Contemporary Art (Tokio), in der Tate Modern (London) und in der Neuen Nationalgalerie (Berlin) unterstreichen die anhaltende Relevanz ihres Werks für den aktuellen Diskurs.
In den Räumen des MUSAC verbindet die kuratorische Abfolge die intime Skala einer Anweisung präzise mit der architektonischen Skala einer Umgebung. Der Eingangspassage von „EN TRANCE“ kommt dabei eine Scharnierfunktion zu: eine Ouvertüre, die die Themen der Ausstellung — Schwelle, Transformation, Spiel — in eine räumliche Erfahrung bündelt. „A MAZE“ überträgt ebenso die Logik einer kurzen Partitur in körperliche Bewegung und lädt das Publikum zum Navigieren statt zum bloßen Beobachten ein. In diesem Sinn dient die Schau als Lehrstück dafür, wie Onos Ideen Formate durchqueren: Eine einzige Instruktion kann eine gesprochene Aktion hervorbringen, eine gefilmte Geste, eine raumgreifende Installation oder einen stillen Vorschlag auf Papier, der die Imagination der Lesenden aktiviert.
Der verbindende Faden ist nicht allein formaler Natur. Onos Beharren darauf, dass Kunst ein Vehikel gesellschaftlicher Imagination sein kann, trägt das Spektrum der versammelten Arbeiten. „DOORS“ rahmt einen Alltagsgegenstand als Übergang zwischen Zuständen — privat und öffentlich, geschlossen und offen —, während „INVISIBLE FLAGS“ ein politisches Symbol auf seine minimale Idee reduziert und zur Reflexion über Zugehörigkeit, Nation und Verantwortung einlädt. Diese Arbeiten schreiben dem Publikum nicht vor, was zu denken ist; sie eröffnen die Möglichkeit, darüber nachzudenken, wie kleine Verschiebungen in der Wahrnehmung — in der Breite wiederholt — das Gefüge des gemeinsamen Lebens verändern können. Die Stärke der Präsentation liegt darin, diese Ambition über Zeit und Medien hinweg ohne spektakuläre Mittel lesbar zu halten: ein weiter Gedankengang, getragen von ökonomischen Setzungen.
In der Summe zeigt „Yoko Ono. Insound and Instructure“ eine Praxis, die früh zur Entmaterialisierung tendierte, ohne deren gesellschaftliche Konsequenzen aus dem Blick zu verlieren. Indem die Schau Instruktionen, Partituren und Vorschläge über Film, Klang und Raum hinweg entfaltet, demonstriert sie, wie ein Werk offen bleiben kann — konzeptuell, politisch und formal — und doch eine klare Struktur behält. Zugleich bekräftigt sie die Rolle des Publikums als Ko-Autorin. Diese Erweiterung von Autorinnenschaft bildet den konstanten Grundgedanken der Ausstellung: Kunst als Katalysator, um Veränderung zu denken und zu erproben — beginnend mit der einfachen Geste, einer Anweisung Aufmerksamkeit zu schenken und den nächsten Schritt zu wählen.
Ort und Termine: MUSAC, Museo de Arte Contemporáneo de Castilla y León — geöffnet vom 8. November bis 17. Mai 2026. Kuratiert von Jon Hendricks, Connor Monahan und Álvaro Rodríguez Fominaya.