Das Museum of Contemporary Art Tokyo (MOT) präsentiert eine groß angelegte Überblicksausstellung zu Sol LeWitt, die zeigt, wie seine Systeme, Anweisungen und sein modulares Denken die Nachkriegskunst vom Objekt zur Idee verschoben haben. Als Leitmotiv dient die Vorstellung der „open structure“; versammelt werden Wandzeichnungen (Wall Drawings), dreidimensionale Strukturen, Arbeiten auf Papier und Künstlerbücher. Das Museum bezeichnet die Schau als die erste substanzielle LeWitt-Ausstellung in einem öffentlichen Museum Japans. Kuratiert wird sie von Ai Kusumoto (MOT) in Zusammenarbeit mit dem Estate of Sol LeWitt. Im Zentrum steht LeWitts Methode — Planung, Regelsätze und serielle Verfahren — als Antrieb der Werke. In der Lesart des Hauses ist LeWitts Beitrag weniger ein Stil als ein Arbeitsprotokoll: Das Kunstwerk entsteht aus Idee, Plan oder Prozess, und seine Realisierung folgt der Ausführung dieses Rahmens. Die Perspektive der Ausstellung macht deutlich, wie dieser Ansatz Autorschaft und die institutionellen „Nachleben“ von Kunstwerken neu definiert hat.
Die Präsentation betont LeWitts Formulierung einer konzeptuellen Praxis, in der die Planung der Ausführung vorausgeht und sie steuert. Der kuratorische Text verdeutlicht, dass die Priorität des Plans vor dem Produkt die Auswahl prägt — darunter modulare Arbeiten, die Kubuseinheiten kombinieren und zeigen, wie serielle Progression Form bestimmt, etwa in der Struktur One, Two, Three, Four, Five as a Square. Zusammengenommen erscheint LeWitts Atelier als Ort, an dem Verfahren entworfen werden, die andere ausführen können, ohne die künstlerische Intention zu verändern. Das Museum versteht diesen Rahmen als Schlüssel zum breiteren Einfluss des Künstlers auf Herstellung, Zirkulation und Re-Installation zeitgenössischer Kunst.
Ein Kern der Schau gilt den Wandzeichnungen, einem Lebensprojekt LeWitts, die von geschulten Installationsteams nach seinen schriftlichen Anweisungen oder Diagrammen ausgeführt werden. Nach der Präsentation werden die Wände häufig wieder überstrichen — eine operative Entscheidung, die die Vorrangstellung des Verfahrens und die Transportfähigkeit der Idee unterstreicht. Das MOT zeigt sechs Beispiele, um zu verdeutlichen, wie ein Regelsatz in Linien, Bögen und Felder übersetzt wird — unter den konkreten Bedingungen des jeweiligen Raums. In diesem Format wird Autorschaft bewusst verteilt — zwischen dem ursprünglichen Konzept und den Händen, die es realisieren — und Dauerhaftigkeit wird als Wiederholbarkeit statt als physische Beständigkeit neu gefasst. Die Wandzeichnungen machen ein System in Aktion sichtbar und verwandeln den Ausstellungsraum in einen Ort, an dem Anweisungen materielle Form annehmen.

© 2025 The LeWitt Estate / Artists Rights Society (ARS), New York. Courtesy Paula Cooper Gallery.
Obwohl viele LeWitt mit strengen Schwarz-Weiß-Schemata und skelettierten Strukturen verbinden, berücksichtigt die Präsentation auch Phasen mit komplexeren Formen und gesättigten Farben. Das Museum versteht diese Entwicklungen als Erweiterung seiner Methode, nicht als Bruch: Einfache Systeme und klare Anweisungen bleiben bestehen, während der Ausdrucksraum regelbasierter Arbeit erweitert wird. So bleibt das Werk sichtbar in prozeduraler Logik verankert, während es unterschiedliche visuelle Register auslotet — von reduzierten Linienprogressionen bis zu intensiven Farbfeldern. Über diese Verschiebungen hinweg bleibt die Verpflichtung auf Instruktion, Serialität und modulares Denken konstant.
Die Idee der „open structure“ zeigt sich am deutlichsten in LeWitts kubischen Stücken, bei denen Flächen entfernt und rahmende Kanten offengelegt werden. Indem das Gerüst sichtbar wird, legen diese Arbeiten ihre eigene Konstruktion offen: Was als Einheit gilt, wie eine Sequenz fortschreitet und wo ein System Variation zulässt. In der gemeinhin als Incomplete Open Cube bezeichneten Serie evoziert das Fehlen bestimmter Kanten eine Struktur im Übergang — weniger ein abgeschlossenes Objekt als eine Proposition darüber, wie Form erzeugt, umkonfiguriert und gelesen werden kann. Das Museum deutet dies als Demontage von Perfektions- und Invariabilitätsansprüchen, im Sinne von LeWitts Interesse an Regeln, die Veränderung ermöglichen statt Statik zu erzwingen. Die Skulpturen funktionieren wie Diagramme im Raum und laden das Publikum ein, die Regeln zu rekonstruieren, aus denen sie hervorgegangen sind.
Selbst präzise Anweisungen lassen jede Wandzeichnung die ortsbedingten Faktoren und die Interpretation der Ausführenden erkennen. Raum, Oberfläche, Maßstab und Handschrift prägen das Resultat; diese Variabilität gilt als integraler Bestandteil des Werks, nicht als Mangel. Das Museum verknüpft diese Haltung explizit mit LeWitts Auffassung von teilbaren Ideen — Kunst als Set von Vorschlägen, die andere unter definierten Bedingungen fortführen können. Diese Auffassung bleibt nicht rhetorisch, sondern ist in das prozedurale Leben der Arbeiten eingeschrieben: Sie sind wieder installierbar, an neue Kontexte anpassbar und mit jeder Realisierung erneuert. Variabilität ist kein Kompromiss, sondern ein eingebautes Merkmal einer Kunst, die die Zirkulation von Ideen höher bewertet als die Fixierung des singulären Objekts.
Die Schau würdigt zudem LeWitts publizistische Tätigkeit und seine Rolle beim Aufbau von Distributionswegen für ideenbasierte Kunst außerhalb traditioneller Märkte. Um Konzepte freier zu verbreiten, produzierte er zahlreiche Künstlerbücher und gründete in New York gemeinsam mit Mitstreiterinnen und Mitstreitern — darunter die Kritikerin Lucy R. Lippard — Printed Matter, eine Organisation zur Distribution von Künstlerpublikationen jenseits konventioneller Kanäle. Die Präsentation stellt diese verlegerische Arbeit in eine Linie mit der Philosophie der Wandzeichnungen: ein Bekenntnis zu Verfahren, die sich von vielen übertragen, verstehen und ausführen lassen. Bücher und Anweisungen fungieren hier als parallele Vehikel — beide begreifen Reproduzierbarkeit und Verbreitung als wesentliche Bedeutungsträger des Werks.
Im größeren Kontext zeitgenössischer Praxis verortet das Museum LeWitt als zentrale Figur des Wandels hin zu Kunstwerken als Denk-Räumen statt als singuläre Objekte der Betrachtung. Texte und Praxis des Künstlers dienen als Referenz für instruktionsbasierte, konzeptorientierte Kunst, in der Regeln, Algorithmen und modulare Systeme generative Werkzeuge statt Einschränkungen sind. Durch die Neukonfiguration bekannter Strukturen — Raster, Kuben, Sequenzen — öffnet LeWitt einen kreativen Spielraum innerhalb der Ordnung und schlägt vor, dass Struktur Möglichkeiten eröffnet statt sie zu schließen. Die Ausstellung argumentiert, dass dieses Erbe fortwirkt und aktuelle Debatten über Prozess, Reproduzierbarkeit und institutionelle Verantwortung prägt.
Der kuratorische Ansatz lädt dazu ein, die Galerie als Umgebung zu lesen, in der sich Ideen prozedural entfalten — nicht als Lager diskreter Objekte. Linien, Bögen und modulare Einheiten erscheinen als Spuren konzeptueller Tätigkeit, nicht als Signaturen individueller Expressivität. Die Präsentation fordert auf, genau zu beobachten, wie einfache Regeln Komplexität erzeugen und wie verteilte Autorschaft — zwischen Künstler, Ausführungsteams und Institutionen — vertraute Vorstellungen vom einzigartigen Kunstwerk neu ordnet. In dieser Lesart besteht LeWitts Beitrag aus einem Set betrieblicher Prinzipien für das öffentliche Machen und Teilen von Kunst: klare Anweisungen, offene Strukturen und die Bereitschaft, Ideen reisen zu lassen.
Für Besucherinnen und Besucher findet die Ausstellung in der Exhibition Gallery 1F des Museum of Contemporary Art Tokyo statt. Die Öffnungszeiten sind 10:00 bis 18:00 Uhr (Kassenschluss 30 Minuten vor Schließung); montags sowie an weiteren, vom Museum bekannt gegebenen Schließtagen bleibt das Haus geschlossen. Eintrittspreise: Erwachsene 1.600 Yen; Studierende und Besucher ab 65 Jahren 1.100 Yen; Schülerinnen und Schüler der Ober- und Mittelschule 640 Yen; Eintritt frei für Grundschulkinder und Jüngere. Anfragen: +81-3-5245-4111 (Zentrale). Weitere Informationen und Hinweise zur Anreise finden sich auf der Website des Museums. Die Ausstellung wird vom Museum of Contemporary Art Tokyo organisiert, betrieben von der Tokyo Metropolitan Foundation for History and Culture, in Kooperation mit dem Estate of Sol LeWitt; Kuratorin ist Ai Kusumoto.
Ausstellungszeitraum: 25. Dezember 2025 — 2. April 2026.
