Tate Britain bewertet das parallele Erbe von Turner und Constable neu

JMW Turner, The Burning of the Houses of Lords and Commons, 16 October 1834, 1835. Cleveland Museum of Art. Bequest of John L. Severance 1942.647; John Constable, The White Horse, 1819. © The Frick Collection, New York. Photo: Joseph Coscia Jr
Lisbeth Thalberg
Lisbeth Thalberg
Journalist und Künstler (Fotograf). Redakteur der Rubrik Kunst bei MCM.

Die Tate Britain präsentiert die erste große Ausstellung, die sich den miteinander verwobenen Biografien und beruflichen Werdegängen der wohl am meisten verehrten britischen Landschaftsmaler widmet: JMW Turner (1775–1851) und John Constable (1776–1837). Anlässlich ihres 250. Geburtstags zeichnet die Schau mit dem Titel Turner and Constable: Rivals and Originals ihre Karrieren parallel nach. Die Ausstellung postuliert, dass das kritische Umfeld des 19. Jahrhunderts, das die beiden Künstler häufig gegeneinander ausspielte, sie zu jenen radikalen und originellen Visionen anspornte, mit denen sie die künstlerischen Konventionen ihrer Zeit herausforderten.

Divergierende Ursprünge

Die Erzählung beginnt mit der Gegenüberstellung der unterschiedlichen Hintergründe der Künstler, die ihre Herangehensweise an das Medium grundlegend prägten. Obwohl nur ein Jahr auseinander geboren, verliefen ihre frühen Lebenswege höchst unterschiedlich. JMW Turner, geboren in der dichten Metropole London, war ein geschäftstüchtiges Wunderkind, das bereits 1790 im Alter von 15 Jahren erstmals in der Royal Academy ausstellte. Mit 18 Jahren hatte er bereits ambitionierte Ölgemälde geschaffen, wie das kürzlich wiederentdeckte The Rising Squall, Hot Wells, from St. Vincent’s Rock, Bristol.

Im deutlichen Kontrast dazu wurde John Constable in eine wohlhabende Familie im Dorf East Bergholt in Suffolk geboren. Weitgehend autodidaktisch, zeigte er einen eisernen Willen zur Perfektionierung künstlerischer Techniken, stellte jedoch erst 1802 in der Royal Academy aus. Statt nach sofortigem Ruhm zu streben, unternahm Constable Skizzenreisen, um frühe Aquarelle zu schaffen, und entschied sich für eine langsamere, methodische Entwicklung seines Handwerks. Trotz dieser Unterschiede suggeriert die Ausstellung, dass beide Männer durch das gemeinsame Ziel vereint waren, das Genre der Landschaftsmalerei inmitten seiner wachsenden Popularität aufzuwerten.

Methoden und das Spiel mit dem Licht

Die Schau analysiert, wie beide Künstler durch divergierende Methodiken eigenständige Identitäten innerhalb des wettbewerbsorientierten Kunstmarktes etablierten. Constable baute seinen Ruf auf Darstellungen der Landschaft von Suffolk auf – insbesondere des Dedham Vale und des Flusses Stour – wobei er oft im Freien in Öl skizzierte. Sein Bereich umfasst Exponate wie seinen Malkasten und seinen Skizzierstuhl, was Besuchern ermöglicht, die Entwicklung seiner zeichnerischen Fähigkeiten und seinen radikalen Umgang mit Farbe nachzuvollziehen, der darauf abzielte, der Leinwand ein charakteristisches „Funkeln“ zu verleihen. Bemerkenswert ist eine Zusammenstellung von Constables Wolkenstudien, die seine Überzeugung illustrieren, dass der Himmel die Hauptquelle der emotionalen Wirkung eines Gemäldes sei – eine Philosophie, die auch die mächtigen Himmelslandschaften seiner monumentalen „Six-Footer“-Leinwände untermauert.

Im Gegenzug war Turners Praxis durch ausgedehnte Reisen durch Großbritannien und Europa geprägt, auf denen er Skizzenbücher mit raschen Bleistiftstudien füllte. Diese Exkursionen lieferten Inspiration für sublime Sujets wie The Passage of Mount St Gothard (1804) und eröffneten kommerzielle Möglichkeiten für Druckgrafiken nach seinen Aquarellen. Die Ausstellung untersucht Turners Entwicklung originärer Farbaufträge und seinen Fokus auf die Darstellung von Licht und der rohen Urgewalt der Natur.

Feuer und Wasser

Ein zentraler Bestandteil der Untersuchung ist die Beleuchtung der Rivalität – sowohl der realen als auch der konstruierten – zwischen den beiden Malern. In den 1830er Jahren stellten Kritiker sie aufgrund der starken Unterschiede in ihren Werken häufig als Gegenspieler dar. Die Narration hebt die Ausstellung der Royal Academy von 1831 hervor, bei der Constable, der im Hängekomitee saß, diese Dynamik nutzte, indem er sein Werk direkt neben dem von Turner platzierte.

Die Gegenüberstellung von Turners Caligula’s Palace and Bridge und Constables Salisbury Cathedral from the Meadows veranlasste zeitgenössische Kritiker, die Werke mit „Feuer und Wasser“ zu vergleichen. Diese Polemik kontrastierte die sonnendurchflutete Hitze von Turners mythischer Szenerie mit der atmosphärischen Feuchtigkeit von Constables britischer Landschaft. Die aktuelle Installation stellt diese markanten Stile direkt gegenüber, um zu demonstrieren, wie es beiden Künstlern trotz stilistischer Polaritäten gelang, die Landschaftsmalerei als ein Genre von großem Format und erstklassiger Bedeutung zu etablieren.

Raritäten und Spätwerke

Die Ausstellung umfasst über 190 Gemälde und Arbeiten auf Papier. Zu den bemerkenswerten Exponaten gehört Turners The Burning of the Houses of Lords and Commons (1835), eine Leihgabe des Cleveland Museum of Art, die seit über 60 Jahren nicht mehr in Großbritannien zu sehen war. Auch Constables The White Horse (1819), das seit zwei Jahrzehnten nicht mehr in London ausgestellt wurde, ist zu sehen. Spätwerke nehmen einen prominenten Platz ein, darunter Constables Hampstead Heath with a Rainbow (1836), das persönliche und historische Erinnerungen verwebt, sowie Turners Ancient Italy – Ovid Banished from Rome, das seit über 50 Jahren nicht mehr in London gezeigt wurde.

Der Rundgang endet mit einem neuen Film, in dem zeitgenössische Künstler wie Frank Bowling, Bridget Riley, George Shaw und Emma Stibbon über das bleibende Erbe der konkurrierenden Visionen von Turner und Constable reflektieren.

Ausstellungsinformationen

Turner and Constable: Rivals and Originals ist vom 27. November 2025 bis zum 12. April 2026 für die Öffentlichkeit zugänglich.

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