Die Claire Oliver Gallery zeigt We AmeRícans, eine von Fotograf und Kurator Ruben Natal-San Miguel konzipierte Gruppenausstellung, die mehrere Generationen puertoricanischer und puertoricanischstämmiger Künstlerinnen und Künstler zusammenbringt. Das Projekt umfasst Malerei, Fotografie, Skulptur, Druckgrafik, Textil und Mixed Media. Der Titel bezieht sich auf das Gedicht „AmeRícan“ von Tato Laviera und setzt kulturelle Hybridität sowie Gemeinschaft ins Zentrum. Kunst dient hier als Medium, um Erzählungen von Identität, Resilienz und Alltagsgeschichten der puertoricanischen Diaspora in New York und darüber hinaus sichtbar zu machen.
Der kuratorische Ansatz versteht die Präsentation zugleich als Dokumentation und als Bewahrung. Anstelle einer Einzelaussage ordnet Natal-San Miguel die Werke zu einem zusammengesetzten Register: persönliche Linien, die in ihrer Gesamtheit geteilte Erfahrungen von Migration, Arbeit und kulturellem Stolz nachzeichnen. Die Leitidee lautet, dass visuelle Praktiken mehr leisten als bloße Spiegelung des Lebens in puertoricanischen und Nuyorican-Gemeinschaften; sie tragen zur Pflege eines intergenerationellen Archivs bei, das Kunstschaffende mit Nachbarschaften, Familiengedächtnis und zivilgesellschaftlichen Institutionen verbindet.

Die Galerie verortet das Projekt im Rahmen ihres kontinuierlichen Engagements für Positionen, die das öffentliche Verständnis von Geschichte und Identität erweitern. Mit der Widmung des Harlem-Raums an eine polyphone, in puertoricanischen Erfahrungen verankerte Präsentation betont das Programm ein langes urbanes Kontinuum, in dem künstlerische Produktion, Community-Organizing und Institutionenaufbau miteinander verzahnt sind. Der New Yorker Ort ist nicht zufällig, sondern konstitutiv: Er bindet die Atelierpraxis an die langjährige puertoricanische Kulturgeschichte der Stadt.
Zum Künstlerinnen- und Künstlerfeld gehören Carlos Betancourt, Elsa María Meléndez, Erica Morales, Ruben Natal-San Miguel, Dave Ortiz, Felix Plaza, Wanda Raimundi-Ortiz, Nitza Tufiño, Beatriz Williams, James Cuebas und Danielle de Jesus. Ihre Verfahren unterscheiden sich in Material und Form, konvergieren aber in den Motiven: Alltagsszenen, generationenübergreifende Bindungen und die Textur arbeitsgeprägter Lebenswelten. Betancourts performative Installationspraxis bildet einen öffentlichkeitsorientierten Gegenpol zu intimeren Arbeiten, während andere Beiträge die Präsentation in den Traditionen der Druckgrafik, der Textilien und der narrativen Malerei verankern.
Institutionelle Genealogien sind ausdrücklich Teil des Konzepts. Nitza Tufiño—Mitbegründerin von El Museo del Barrio und des Taller Boricua Printmaking Studio—verknüpft die Ausstellung mit einer seit Jahrzehnten gewachsenen Infrastruktur puertoricanischer Kunst in New York und macht deutlich, dass kulturelle Arbeit oft auch die Gründung von Orten, die Ausbildung jüngerer Generationen und den Betrieb gemeinschaftlicher Werkstätten umfasst. James Cuebas führt diesen Faden mit seiner Einbindung in die Rafael Tufiño Printmaking Workshop in East Harlem und in die Lower East Side Printshop fort, wo er Gummibichromatverfahren, Lithografie, Siebdruck und Monotypie erprobt. Die Einbindung solcher Netzwerke unterstreicht die untrennbare Verbindung von Prozess und Ort in der Ausstellungserzählung.

Zugleich bringt die Präsentation jüngere institutionelle Sichtbarkeit ins Spiel. Danielle de Jesus—mit Masterabschluss der Yale University, Teilnahme an der Whitney Biennial und jüngsten Arbeiten im MoMA PS1—steht für eine jüngere Stimme, die zwischen akademischen, musealen und communitybasierten Kontexten souverän wechselt. Ihre Präsenz stärkt die intergenerationelle Anlage der Ausstellung: Etablierte Positionen, werkstattbasierte Praktiken und neue Stimmen teilen sich den Raum ohne starre Hierarchien.
Wanda Raimundi-Ortiz arbeitet mit einer hybriden Bildsprache—europäisches Porträt, Comic, Performance und folkloristische Bezüge—und adressiert damit Fragen von Rasse, Trauma und Reparatur. Stationen in führenden Institutionen, darunter die Smithsonian National Portrait Gallery und das Museo de Arte de Puerto Rico, sowie Teilnahmen an internationalen Biennalen, verorten We AmeRícans in einem transregionalen Rahmen. Diese Verbindungen dienen nicht bloß als Referenz; sie zeigen die Zirkulation puertoricanischer Stimmen über unterschiedliche Plattformen hinweg, ohne den Bezug zu gemeinschaftlichen Erzählungen aufzugeben.
Textil-, Druck- und handwerksnahe Praktiken nehmen besonderes Gewicht ein. Elsa María Meléndez—mit dem Publikumspreis des Smithsonian bei American Portraiture Today ausgezeichnet—setzt Faden, Nadel und Stoff als Instrumente der Erzählung und Kritik ein. Ihr Ansatz verdeutlicht, wie häusliche und „angewandte“ Künste zu Vektoren politischer Erinnerung werden, wenn sie von kunsthandwerklicher Präzision und materialbewusster Formensprache getragen sind. Kuratorisch werden diese Materialien ohne Hierarchie neben Malerei und Fotografie positioniert und spiegeln damit eine breiter geführte Debatte über lange als „handwerklich“ codierte Medien.
Erica Morales, Trägerin des Rema Hort Mann Emerging Artist Grant, rückt die doppelte Rolle als Pädagogin und Künstlerin in New York ins Blickfeld. Ihre Beteiligung fügt dem Gesamtbild eine pädagogische Dimension hinzu und erkennt Klassenzimmer, Werkstatt und Studio als komplementäre Orte kultureller Wissensweitergabe an. Der Fokus auf Mentoring—formal wie informell—durchzieht die Künstlerliste und stützt die bewahrende Logik der Ausstellung.
Neuen und aufstrebenden Perspektiven wird gezielt Raum gegeben. Die Malerin Beatriz Williams, die jüngste Teilnehmerin, thematisiert Nähe und Distanz zwischen puertoricanischem Erbe und Familienleben in New York und zeichnet eine Intimität nach, die gleichermaßen aus Erinnerung und Geografie entsteht. Felix Plaza stellt sich mit einem Galeriedebüt vor, das eine sich entwickelnde Stimme zwischen Druckgrafik und Malerei markiert. In beiden Fällen ist die kuratorische Setzung weniger von Neuheit als von Kontinuität geleitet—von der Frage, wie die nächste Generation gemeinsame Themen übernimmt, verändert und neu formuliert.
Der historische Kontext wird präzise umrissen. Bezug genommen wird auf die Migrationsbewegung der Mitte des 20. Jahrhunderts, die New York nachhaltig veränderte: wirtschaftlicher Druck auf der Insel, wachsende Beschäftigungsmöglichkeiten in der Stadt und ein erschwinglicherer Luftverkehr zogen zahlreiche Puertoricanerinnen und Puertoricaner auf das US-Festland. Mitte der 1960er-Jahre lebten mehr als eine Million von ihnen in den Vereinigten Staaten; New York entwickelte sich zum größten kulturellen Zentrum außerhalb der Insel. Dieser Hintergrund ist nicht bloß Kulisse, sondern klärt, wie gesellschaftliche und ökonomische Verschiebungen Themen, Materialien und Gemeinschaftsstrukturen prägen, die von den Kunstschaffenden dokumentiert und neu interpretiert werden.
Die Ausstellung verweist zudem auf die zentrale Rolle puertoricanischer Frauen in der New Yorker Bekleidungsindustrie—insbesondere auf der Lower East Side—wo qualifizierte Arbeit sowohl zur familiären Stabilität als auch zur Modeökonomie der Stadt beitrug. Mit der Benennung dieser Arbeitsgeschichte verknüpft die Präsentation die Produktion im Studio mit einer größeren Ökonomie des Herstellens—Werkstätten, Fabriken und häusliche Räume, in denen handwerkliches Können, Kreativität und gegenseitige Unterstützung Familien und Nachbarschaften getragen haben. Die Verbindung von Textilkunst und Bekleidungsgewerbe macht deutlich, wie die materiellen Praktiken im Ausstellungsraum mit langlebigen Formen von Handwerk und Fürsorge korrespondieren.
Über den gesamten Parcours hinweg gilt Medienvielfalt als Indikator erzählerischer Breite und nicht als Abhakliste. Malerei und Fotografie stehen neben Druckgrafik, Textil, Skulptur und Mixed Media und verdeutlichen, dass Diaspora per Definition plural ist. Die Anspielung auf Lavieras „AmeRícan“ stützt diesen Punkt, indem sie eine literarische Tradition aufruft, die Identität seit Jahrzehnten als Geflecht aus Sprache, Erinnerung, Nachbarschaft und Migration begreift. Die Struktur der Ausstellung—intergenerationell, plattformübergreifend und an konkrete Gemeinschaftsinstitutionen gekoppelt—verleiht dieser Idee greifbare Form.
Die eigene Praxis von Natal-San Miguel erhellt Ton und Methode der Schau. Seine Fotografien befinden sich unter anderem in den Sammlungen des Museum of Fine Arts, Boston, des Studio Museum in Harlem und von El Museo del Barrio—ein Ausdruck seines langfristigen Interesses an Stadt, Straßenleben und den Menschen, die es prägen. In We AmeRícans übersetzt sich diese Haltung in eine kuratorische Strategie, die gelebte Erfahrung und gemeinschaftliche Aufzeichnung vor das Spektakuläre stellt und jedes Werk als Teilerzählung innerhalb einer größeren bürgerschaftlichen Geschichte liest.
In der Summe behauptet sich We AmeRícans als Aussage über Präsenz und Kontinuität. Die Ausstellung vereint etablierte Positionen, werkstattbasierte Praktiken und aufstrebende Stimmen und zeigt, wie kulturelles Gedächtnis fortbesteht—über von Kunstschaffenden gegründete und getragene Institutionen, über intergenerationelle Vermittlung und über Materialien, die in besonderer Weise mit alltäglicher Arbeit resonieren. Das Ergebnis ist ein strukturiertes, nüchternes Bild puertoricanischer Identität, wie sie in New York und in der weiteren Diaspora gelebt und dargestellt wird.
Ort und Termine: Claire Oliver Gallery, Harlem, New York — Zu sehen vom 5. November 2025 bis 3. Januar 2026; Empfang mit den Künstlerinnen und Künstlern am Freitag, 7. November, 18:00–20:00 Uhr; Pressemitteilung veröffentlicht am 3. Oktober 2025.
