Are We Living in a Simulation?
Are We Living in a Simulation?

Leben wir in einer Simulation? Nick Bostroms Trilemma und Melvin Vopsons Infodynamik

05.09.2025, 22:15

Sind wir Bewohner eines rechnerischen Konstrukts statt einer vom Geist unabhängigen „Basisrealität“? Die Simulationsfrage zwingt uns zurück zu den ersten Prinzipien: Was gilt als Evidenz? Was ist ein Naturgesetz? Was ist ein Geist? Seit zwei Jahrzehnten kristallisiert sich die Debatte um Nick Bostroms philosophisches Simulation Argument und – jüngst – um Melvin Vopsons Versuch, physikalische Regelmäßigkeiten als Folgen von Informationsdynamik neu zu deuten. Zusammengenommen laden diese Ansätze zu einem neutralen, aber hartnäckigen Prüfblick ein: Wenn die Welt ein Programm wäre – was, wenn überhaupt, müsste sich sichtbar unterscheiden? Und wenn sich nichts unterscheiden würde: Ist die These erklärend, wissenschaftlich oder metaphysisch?

Rahmen der Hypothese: Philosophische vs. physikalische Ansprüche

Die Simulationshypothese erscheint meist in zwei Registern. Das erste ist philosophisch und betrifft Wahrscheinlichkeit und Referenzklassen: Unter Annahmen über künftige Zivilisationen und Rechenleistung – wie wahrscheinlich ist es, dass Wesen mit Erlebnissen wie den unseren simuliert sind? Das zweite ist physikalisch und betrifft die Struktur der Naturgesetze: Wenn Information fundamental ist, könnten Kräfte, Symmetrien oder thermodynamische Trends aus einer rechnerähnlichen Optimierung hervorgehen?

Beide Register schärfen das Problem, legen es aber unterschiedlichen Einwänden aus. Philosophisch sind die Schwachstellen die stillschweigend in die Wahrscheinlichkeitsrechnung eingeführten Voraussetzungen und die Wahl der Beobachterklasse. Physikalisch stehen Testbarkeit, Unterbestimmtheit und das Risiko im Mittelpunkt, Bekanntes in Rechner-Metaphern neu zu beschreiben, ohne Vorhersagekraft zu gewinnen.

Bostroms Simulationsargument: Ein Trilemma, kein Urteil

Bostroms Beitrag wird häufig missverstanden, als behaupte er, wir seien simuliert. Tatsächlich handelt es sich um ein Trilemma: (1) Fast keine Zivilisation erreicht den „posthumanen“ Status; oder (2) fast keine posthumane Zivilisation führt eine nennenswerte Zahl von Ahnensimulationen durch; oder (3) wir leben mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer Simulation. Die Kraft des Arguments besteht darin, bequemen Realismus epistemisch unbequem zu machen: Gewährt man substratunabhängiges Bewusstsein und die Machbarkeit großskaliger Emulationen, wird die „Referenzklasse“ beobachterähnlicher Wesen von Simulierten dominiert.

Wesentliche Druckpunkte:

  • Referenzklassenproblem. Die probabilistische Wucht hängt davon ab, wer als „wie wir“ gilt. Definiert man die Klasse phänomenologisch (Erlebnisse wie die unseren), dominieren Simulierte. Definiert man sie kausal (biologisch entstandene Primaten), dominieren Nicht-Simulierte. Ohne weitere Theorie gibt es keinen nicht-zirkulären Weg zur Wahl.
  • Agnostische Prämissen. Die beiden tragenden Prämissen – substratunabhängiger Geist und realisierbare Emulation – sind strittig. Emulation könnte nicht nur astronomische Rechenleistung verlangen, sondern auch hochpräzise Modellierung dekoherierender Quantensysteme und verkörperter Umweltkopplungen – weit jenseits grober Überschläge.
  • Entscheidungstheoretische Verstimmung. Gälte die dritte Hornspitze, wie sollten wir handeln? Bostroms pragmatischer Rat – „weiter wie bisher“ – ist plausibel, zeigt aber eine Asymmetrie: Eine These, die weder Handeln leitet noch Vorhersagen unterscheidet, droht zur eleganten Kuriosität zu werden.

Wohlwollend gelesen erweitert das Argument den Raum ernsthafter Möglichkeiten, ohne Evidenzschluss zu beanspruchen. Es taugt am besten als skeptischer Belastungstest für unsere Grundannahmen über Technik, Bewusstsein und Typikalität.

Vopsons Infodynamik: Vom Bild zur Mechanik

Wo das Trilemma im Abstrakten arbeitet, zielt Vopson auf Mechanismus. Er schlägt vor, dass Informationsdynamik einer „zweiten Gesetzmäßigkeit“ folgt, die sich von der thermodynamischen Entropie unterscheidet: In geschlossenen Informationssystemen tendiert die Informationsentropie dazu, abzunehmen oder konstant zu bleiben – Kompression und Optimierung treiben die Entwicklung. Daran knüpft er die Skizze, wie ein solcher Grundsatz Muster in verschiedenen Domänen – genetische Evolution, mathematische Symmetrie, ja sogar Gravitation – erhellen könnte, wenn man die Welt als informationsverarbeitendes System mit Hang zur Darstellungssparsamkeit betrachtet.

Der Schritt ist kühn: von der Metapher („das Universum ist wie ein Computer“) zur operativen Hypothese („physikalische Regelmäßigkeiten entstehen aus Kompressionsdruck“). Mehrere Thesen ragen heraus:

  • Kompression als einigende Tendenz. Entwickeln sich Systeme hin zu minimaler Beschreibungs­komplexität, sollten Konvergenzen zu Symmetrie, Regelmäßigkeit und effizienten Codes sichtbar sein. „Gesetzlichkeit“ wäre kein bloßer Fakt, sondern emergentes Nebenprodukt informationeller Buchführung.
  • Diskrete „Zellen“ der Raumzeit. Modelliert man die Realität als Gitter informations­tragender Einheiten, lassen sich Dynamiken ableiten, bei denen das Zusammenführen von Materie die Anzahl nötiger Zustandsdeskriptoren verringert – es entsteht das attraktive Verhalten, das wir Gravitation nennen.
  • Kopplung von Masse–Energie–Information. Ist Information physisch, könnte sie energetische oder massenartige Eigenschaften tragen, Rätsel wie die Dunkle Materie informations­theoretisch umdeuten und Laborprüfungen mittels „Informationslöschung“ motivieren.

Der Reiz des Programms liegt auf der Hand: prüfbare Brücken zwischen Informationstheorie und Fundamentalphysik. Doch der Maßstab muss hoch sein. Bekannte Regelmäßigkeiten in Kompressionssprache neu zu erzählen, genügt nicht; entscheidend ist neue, trennscharfe Vorhersage. Sagt die Infodynamik quantitative Anomalien voraus, die Standardmodelle nicht liefern? Retrodeduktion etablierter Konstanten ohne freie Parameter? Lassen sich ihre „Gitter“-Bindungen durch Präzisionsmessungen falsifizieren, die bei kontinuierlicher Realität anders ausfallen müssten?

Was gälte als Evidenz?

Für eine reife Bewertung ist zu klären, was die Simulationshypothese – oder ihr infodynamischer Avatar – evidenzoffen macht. Häufig diskutierte Wege:

  1. Gitterartefakte. Wäre Raumzeit auf einem Rechengitter diskretisiert, könnten extrem hochenergetische Prozesse (z. B. kosmische Strahlung) feine Anisotropien oder Dispersionsrelationen entlang der Gitterachsen zeigen. Das Ausbleiben solcher Signaturen setzt Untergrenzen an die Diskretisierungsskala.
  2. Komplexitätsdecken. Ein endlicher Simulator könnte Ressourcenlimits erzwingen – etwa bei der Tiefe quantischer Verschränkung oder der Komplexität von Interferenzmustern. Experimente könnten unerwartete Sättigungspunkte aufspüren, die Standardtheorien nicht vorhersagen.
  3. Thermodynamische Asymmetrien. Weicht ein informationelles „Zweites Gesetz“ von der Wärmeentropie ab, könnten sorgfältig konstruierte „geschlossene“ Informationssysteme eine Richtungstendenz (zur Kompression) zeigen, die sich der klassischen Statistikmechanik entzieht.
  4. Energiekosten des Löschens. Landauers Prinzip verknüpft das Löschen von Information bereits mit Wärmeabgabe. Stärkere, nicht redundante Verknüpfungen – etwa Massedefizite gekoppelt an Löschung – wären entscheidend, sofern sauber beobachtbar und von gewöhnlicher Dissipation isoliert.

Jeder Pfad kennt Hürden: Messpräzision, Hintergrundeffekte und vor allem Unterbestimmtheit. Ein simulationskompatibles Signal ist oft ebenso mit nicht-simulations­basierten Theorien verträglich (Quanten­gravitation, emergente Raumzeit, neuartige Festkörperanaloga). Die Gefahr heißt Bestätigungsdrift: rechnerfreundliche Muster zu sehen, wo mehrere Rahmen ohnehin Gleiches prognostizieren.

Methodische Vorsicht: Wenn Analogien überperformen

Drei methodische Mahnungen erden zu forsche Schlüsse:

  • Metapher der Leittechnologie. Kulturen vergleichen den Kosmos mit ihrer besten Maschine: Uhrwerk, Dampfmaschine, heute Computer. Heuristisch fruchtbar, riskieren solche Bilder Kategorienfehler, wenn sie ohne Konkurrenzvergleich zur Ontologie erhoben werden.
  • Erklärungsbuchhaltung. „Gravitation“ als „Informationskompression“ umzubenennen, darf das Explanandum nicht nur etikettieren. Mechanistische Tiefe verlangt zu zeigen, wie die neue Beschreibung freie Parameter reduziert, disparate Phänomene vereint oder Anomalien ohne ad-hoc-Gerüst löst.
  • Bayessche Buchführung. Priors zählen. Wer substratunabhängigem Bewusstsein oder Ahnensimulationen geringe Vorwahrscheinlichkeit zuweist, behält auch mit bostromschen Likelihoods eine niedrige Posterior-Wahrscheinlichkeit „wir sind simuliert“. Umgekehrt verwässern allzu breite Priors die Evidenzdisziplin.

Ethische und existentielle Nebenfolgen (unabhängig von der Ontologie)

Die Hypothese fasziniert auch, weil sie vertrautes Ethikgelände neu vermisst:

  • Designethik. Können künftige Wesen bewusste Leben in Software instanzieren, erhalten unsere heutigen Entscheidungen zu KI, virtuellen Agenten und Massensimulationen moralisches Gewicht. Die Frage kehrt als Politik zurück: Sollten wir Welten mit leidensfähigen Geistern schaffen?
  • Sinn ohne metaphysische Garantien. Selbst wenn Realität berechnet wäre, verdampfen menschliche Projekte – Fürsorge, Wissen, Kunst – nicht. Wert superveniert auf Erfahrung und Beziehung, nicht auf dem Substrat. Praktische Haltungen sind damit ontologie-robust.
  • Epistemische Demut. Die Hypothese mahnt: Unsere Modelle sind womöglich lokale Kompressionen einer tieferen Ordnung. Diese Demut speist bessere Wissenschaft – ob das Universum „auf Silizium“ läuft oder nicht.

Eine neutrale Würdigung

Wo bleibt ein gewissenhafter, akademischer Beobachter?

  • Bostroms Trilemma bleibt eine kräftige Herausforderung für naiven Realismus, doch sein Schneid hängt an strittigen Prämissen und an philosophisch unterbestimmten Klassenwahlen.
  • Vopsons Programm ist vielversprechend als Forschungsagenda, genau soweit es scharfe, riskante Vorhersagen liefert, die die Standardphysik nicht bietet. Sein Wert bemisst sich weniger an rhetorischer Resonanz als an erklärökonomischer Stringenz und empirischer Traktion.
  • Als wissenschaftliche Behauptung gewinnt die Simulationshypothese nur, wenn sie durch Vorhersagen „Miete zahlt“. Als philosophischer Stresstest zahlt sie bereits, indem sie Annahmen über Typikalität, Verkörperung und Geist diszipliniert.

Die intellektuell redliche Haltung ist weder Gutgläubigkeit noch Abwinken, sondern fortgesetzte kritische Neugier. Leitet künftige Arbeit quantitative Signaturen her – gitterachsenausgerichtete Anisotropien mit spezifischem Skalengesetz, informationsgekoppelte Masse-Energie-Effekte jenseits von Landauer, Komplexitätsdecken, die Standardtheorie nicht erklärt –, dann kippt die Gründebilanz. Bleibt dies aus, bleibt die Simulations­these eine lebendige metaphysische Option und fruchtbare Heuristik – noch keine empirisch bevorzugte Hypothese.

Schluss: Der Wert der Frage

Zu fragen, ob wir eine Simulation sind, ist kein Spiel spekulativer Ontologie. Es ist ein Hebel, der mehrere Gelenke der Forschung öffnet: Wie entstehen Geister? Warum sind Gesetze schlicht? Was ist Information? Bostrom lehrt, unsere Annahmen über Beobachterverteilungen zu verfolgen; Vopson fordert heraus, „Information ist physisch“ in fehlertolerante Mechanismen zu übersetzen. Die sicherste Prognose lautet: Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Hypothese werden die Methoden, die unterwegs entstehen – feiner justierte Referenzklassen, engere Kopplungen zwischen Information und Dynamik, trennschärfere Experimente – unser Verständnis der Welt bereichern, ob simuliert oder nicht.

Bis ein entscheidender Test „Basis-“ von „Emulationsrealität“ scheidet, sollten wir sowohl bequeme Gewissheit als auch performativen Skeptizismus meiden. Lassen wir die Frage stattdessen ihre beste Arbeit tun: unsere Evidenzstandards verfeinern, unsere Erklärungsambitionen klären und die Grenzfläche von Physik, Informatik und Philosophie erweitern. Falls sich der Vorhang lüften lässt, wird er durch diese Tugenden fallen – nicht durch Schlagworte, sondern durch Resultate.


Quellen

  • Bostrom, Nick. „Are You Living in a Computer Simulation?“ The Philosophical Quarterly 53, Nr. 211 (2003): 243–255.
  • Eggleston, Brian. „A Review of Bostrom’s Simulation Argument.“ Stanford University (Kursmaterial symbsys205), Zusammenfassung von Bostroms probabilistischem Argument.
  • Vopson, Melvin M. „The Second Law of Infodynamics and its Implications for the Simulation Hypothesis.“ AIP Advances 13, Nr. 10 (2023): 105206.
  • Vopson, Melvin M. „Gravity Emerging from Information Compression“ (AIP Advances, 2025) sowie begleitende Mitteilungen der University of Portsmouth.
  • Orf, Darren. „A Scientist Says He Has the Evidence That We Live in a Simulation.“ Popular Mechanics, 3. April 2025.
  • Tangermann, Victor. „Physicist Says He’s Identified a Clue That We’re Living in a Computer Simulation.“ Futurism, 3. Mai 2023.
  • IFLScience (Red.). „Physicist Studying SARS-CoV-2 Virus Believes He Has Found Hints We Are Living In A Simulation.“ Oktober 2023.
  • Vopson, Melvin M. Reality Reloaded: How Information Physics Could Explain Our Universe. 2023.
  • Klassischer Hintergrund des philosophischen Skeptizismus: Platons „Höhlengleichnis“; René Descartes, Meditationen über die Erste Philosophie (historische Verortung).

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