Die erste Ausstellung zeigt mit Wish You a Lovely Sunday (2021) und Wohin? (2022) aktuelle Filme des in Berlin lebenden Künstlers Young-jun Tak. Beide Arbeiten sind in Berlin entstanden und beschäftigen sich mit der Frage, wie Ort, Architektur, Bewegung und Glauben Kategorien wie Gemeinschaft und Queerness informieren.
Wish You a Lovely Sunday (2021) kontrastiert zwei Orte in Berlin: die Kirche am Südstern und den queeren Club SchwuZ. Der Künstler lud zwei Choreografinnen und zwei Tänzerinnen ein, um paarweise Choreografien für diese beiden Räume zu entwickeln. Zudem ordnete er jedem Team ein anderes Bach-Stück für vierhändiges Klavier zu. Als die Choreografien nach mehreren Probetagen fertig entwickelt waren, vertauschte Tak die ursprünglich zugeordneten Räume für die Filmaufnahmen, sodass die Teilnehmenden gezwungen waren, ihre Choreografien spontan an die architektonischen Besonderheiten und die Atmosphäre des jeweils anderen Raums anzupassen. Ein Dialog zwischen den zwei Orten entsteht, und Religion und Clubkultur finden sich – so unwahrscheinlich es scheint – in unmittelbarer Nachbarschaft.
Die Gemeinsamkeiten zwischen Kirche und Club interessiert Tak insofern, als in beiden spezifische Rituale, Verhaltensnormen und Attitüden am Werk sind, die eng an den jeweiligen Raum und dessen Funktion gebunden sind. Im Verlauf von Wish You a Lovely Sunday beginnt die körperliche Anwesenheit der Teilnehmenden und die Art und Weise, auf die sie sich in ihrer jeweiligen Umgebung zurechtfinden, die Bedeutung des jeweiligen Raums zu verändern. Sichtbar werden so letztlich Spannungen, die auf den ersten Blick nicht wahrzunehmen sind. So drückt sich etwa in der Kirche im Spiel gegenseitigen Anblickens und Wegschauens zwischen den beiden um die Säulen und den Altar streifenden Protagonist*innen unweigerlich ein Gefühl von Sehnsucht und Verlangen, Verweigerung und Verbot aus.
Im Film Wohin? konzentriert sich die Kamera auf die Rückspiegel von Autos, die rund um Berlin über die Autobahn fahren. Im Verlauf des Films rücken verschiedene, von den Spiegeln baumelnde Objekte in den Bildausschnitt, seien es christliche Rosenkränze, buddhistische Gebetsperlenketten oder der typisch deutsche Raumduftspender, der Wunderbaum. Die Rückspiegel selbst zeigen dazu die Situation auf den Rücksitzen: ein Mann blickt aus dem Fenster, checkt sein Telefon oder döst weg; zwei weitere Männer küssen sich verliebt. Vor den Aufnahmen hatte sich Tak mit seinen Darstellern über die unterschiedlichen Aspekte der deutschen Autobahn unterhalten – ein ideologisches Projekt des Dritten Reichs, das typisch für die nationale Infrastruktur ist, ebenso aber ein Spielplatz für Projektionen von Hypermaskulinität sowie ein bedeutender Ort für schwules Cruising. Der Soundtrack, für den der Organist Andreas Sieling aus dem Berliner Dom und der britische Countertenor Tim Morgan Kraftwerks legendäres Stück „Autobahn“ von 1974 neu interpretieren, unterstreicht diese verschiedenen Facetten zusätzlich. Während Sieling die Register seiner riesigen Orgel mit über 7.000 bis zu 13 Meter langen Pfeifen zieht, wiederholt Morgan den simplen Text „Autobahn“ in fließendem Vortrag und hoher Tonlage – ganz im Gegensatz zu den mechanischen und militaristischen Rhythmen der Orgel.
Die Reihe Double Feature wird von Line Ajan und Lisa Long kuratiert.
ÜBER DEN KÜNSTLER
Young-jun Tak (geb. 1989 in Seoul, Südkorea) beschäftigt sich mit den soziokulturellen und psychologischen Mechanismen, die Glaubenssystemen zugrunde liegen. Tak mischt unterschiedliche Medien, Techniken und Themen und setzt Verschleierung als Kritik ein. In seinen Videos, Skulpturen und Installationen zeigt er den menschlichen Körper oft im Kontext polarisierender Normen und Konventionen. Einzelausstellungen von Tak waren bei Wanås Konst (Knislinge, Schweden, 2023), O—Overgaden (Kopenhagen, 2023), Efremidis (Berlin, 2022), SOX (Berlin, 2022) und Fragment (Moskau, 2021) zu sehen. Tak hat an internationalen Ausstellungen wie etwa der Lyon Biennale (2022), der Berlin Biennale (2020) oder der Istanbul Biennial (2017) teilgenommen. Gegenwärtig lebt und arbeitet er in Berlin.
ÜBER DIE JULIA STOSCHEK FOUNDATION
Die Julia Stoschek Foundation ist eine 2017 gegründete Non-Profit-Organisation, die sich der öffentlichen Präsentation, Vermittlung, Förderung, Konservierung sowie der wissenschaftlichen Aufarbeitung zeitbasierter Kunst widmet. Die Stiftung verfügt über zwei Ausstellungshäuser in Berlin und Düsseldorf, in denen wegweisende Medien- und Performance-Kunst der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, und verwaltet eine der weltweit umfangreichsten Privatsammlungen zeitbasierter Kunst.
ALLGEMEINE INFORMATIONEN
ORT
JSF Berlin Leipziger Strasse 60, 10117 Berlin
JSF Düsseldorf Schanzenstrasse 55, 40549 Düsseldorf
AUSSTELLUNGSDAUER
3. September – 17. Dezember 2023, JSF Düsseldorf
14. September – 17. Dezember 2023, JSF Berlin
ERÖFFNUNG
13. September, 18 – 22 Uhr, JSF Berlin
ÖFFNUNGSZEITEN
Sonntag, 11 – 18 Uhr, JSF Düsseldorf
Samstag und Sonntag, 12 – 18 Uhr, JSF Berlin
SONDERÖFFNUNGSZEITEN WÄHREND BERLIN ART WEEK
14.–17. September, 12–18 Uhr
EINTRITT
Freier Eintritt, JSF Düsseldorf
5 Euro, JSF Berlin
BARRIEREFREIER ZUGANG
JSF Düsseldorf: Die JSF Düsseldorf ist für den Besuch mit Rollstuhl oder Kinderwagen geeignet. Zwischen den Ausstellungsetagen gibt es einen Aufzug, der in Begleitung des Servicepersonals genutzt werden kann. Bitte wenden Sie sich vor Ort direkt an das Servicepersonal, das Ihnen gerne behilflich ist. JSF Berlin: Die Ausstellung findet im Erdgeschoss statt und ist barrierefrei. Für den Besuch der Ausstellung „Unbound: Performance as Rupture“ (1. OG) mit Rollstuhl oder Kinderwagen bitten wir um vorherige Anmeldung über visit.berlin@jsfoundation.art, um den Zugang zu gewährleisten.
DEUTSCHSPRACHIGE FÜHRUNG
JSF Düsseldorf: alle 14 Tage sonntags, 12 Uhr
JSF Berlin: Sonntag, 15 Uhr
ENGLISCHSPRACHIGE FÜHRUNG
JSF Berlin: Samstag, 15 Uhron.art
Kosten: 10 Euro pro Person, kostenfrei für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre, Schüler*innen, Studierende und Auszubildende. Anmeldung und Terminübersicht unter www.visitjuliastoschekcollection.as.me/schedule.php
SONDERFÜHRUNGEN
Anfragen für Sonderführungen außerhalb der Öffnungszeiten bitte per E-Mail an visit.duesseldorf@jsfoundation.art or visit.berlin@jsfoundation.art
Kosten: 20 Euro pro Person für Gruppen ab 10 Personen (inklusive Eintritt). Kostenfrei für Schülerinnen- und Studentinnengruppen.
WEBSITE www.jsfoundation.art