Tate Britain präsentiert erste umfassende Retrospektive von Hurvin Anderson

Die Ausstellung umspannt drei Jahrzehnte im Schaffen des britischen Malers und widmet sich Themen wie Erinnerung, Identität und der karibischen Diaspora.

Hurvin Anderson, Hawksbill Bay, 2020. Tate: Lent by Tate Americas Foundation, courtesy of Mala Gaonkar 2023 © Hurvin Anderson. All Rights Reserved, DACS 2025.
Lisbeth Thalberg
Lisbeth Thalberg
Journalist und Künstler (Fotograf). Redakteur der Rubrik Kunst bei MCM.

Im Frühjahr 2026 zeigt die Tate Britain die erste große Werkschau des britischen Künstlers Hurvin Anderson. Die Präsentation versammelt rund 80 Werke und deckt die gesamte Karriere des Künstlers ab – von prägenden frühen Studien bis hin zu einem Raum mit bislang ungezeigten Gemälden. Die Ausstellung verortet Anderson als einen der bedeutendsten zeitgenössischen Maler seiner Generation und hebt seine tiefgreifende Auseinandersetzung mit der britischen Landschaftsmalerei sowie seinen atmosphärischen Einsatz von Komposition zur Erforschung von Identitätsmerkmalen hervor.

Im Zentrum der Retrospektive steht die thematische Verflechtung zwischen dem Vereinigten Königreich und der Karibik, die Andersons eigene Erfahrungen von Zugehörigkeit und Diaspora widerspiegelt. Geboren in Birmingham als Sohn von Eltern der Windrush-Generation – sein Vater emigrierte 1961 aus Jamaika –, war Anderson das erste in England geborene Mitglied seiner Familie. Sein Oeuvre beschwört häufig ein Gefühl der Dislozierung herauf, einen Zustand, den der Künstler als „an einem Ort sein, aber an einen anderen denken“ beschreibt. Die Struktur der Ausstellung spiegelt diese Fluidität wider, indem sie sich nicht an eine streng lineare Chronologie hält, sondern sich durch seine dreißigjährige Praxis vor- und zurückbewegt.

Die frühen Arbeiten der Schau untersuchen Erinnerung und familiäre Strukturen durch die Verschmelzung von Vergangenheit und Gegenwart. Unter Verwendung von Familienfotos zur Rekonstruktion „flüchtiger Erinnerungen“ entwirft Anderson imaginäre Unterstützungssysteme in Gemälden wie Bev (1995), einem Doppelporträt, das seine Schwester gleichzeitig als Kind und als Frau zeigt, sowie Hollywood Boulevard (1997), das den Künstler als Jungen an der Seite seines Vaters darstellt.

Ein wesentlicher Teil der Ausstellung beleuchtet die Entwicklung von Andersons visueller Sprache anhand der Serie Ball Watching (1997–2003). Ausgehend von einer Fotografie von Freunden im Handsworth Park in Birmingham überlagern diese Werke eine erkennbar englische Kulisse mit tropischer Ästhetik und thematisieren so die Unzuverlässigkeit der Erinnerung sowie Spannungen rund um das kulturelle Erbe. Um den historischen Kontext von Andersons Jugend in den 1970er und 80er Jahren zu vermitteln, wird der Filmessay Handsworth Songs (1986) des Black Audio Film Collective außerhalb der Ausstellungsräume gezeigt.

Die Neuinterpretation öffentlicher Räume von spezifischer kultureller Bedeutung nimmt in der Retrospektive einen prominenten Platz ein. Seine Serien Barbershop (2006–2023) und Peter’s (2007–09) referenzieren die provisorischen Friseursalons, die karibische Einwanderer in den 50er und 60er Jahren in häuslichem Umfeld einrichteten und die als vitale Orte der sozialen Zusammenkunft und ökonomischen Initiative fungierten. Zu den gezeigten Schlüsselwerken gehören Peter’s Sitters II (2009), frühe Kompositionen wie Jersey (2008) sowie neuere Arbeiten wie Skiffle und Shear Cut (beide 2023).

Die Ausstellung hinterfragt zudem Themen der Trennung und des Blicks. Nach einem Stipendium in Trinidad im Jahr 2002 schuf Anderson die Serie Welcome, die karibische Bars durch Sicherheitsgitter zeigt, wodurch eine physische und emotionale Distanz erzwingt wird. Diese Auseinandersetzung mit Exklusion setzt sich in Country Club: Chicken Wire (2008) fort, wo ein sechseckiger Maschendrahtzaun den Betrachter von der Szenerie trennt und auf das Erbe rassistischer und sozialer Segregation anspielt. In einer Hinwendung zu direkter politischer Befragung zeigt das Gemälde Is It OK To Be Black? (2015–16) halb-abstrakte Bildnisse von Figuren wie Martin Luther King Jr. und Malcolm X, womit die Rolle des Betrachters untergraben wird, indem er in die Position des Modells versetzt wird.

Eine bedeutende Ergänzung der Schau ist das britische Debüt des monumentalen Werks Passenger Opportunity (2024–25). Inspiriert von Carl Abrahams’ Wandgemälden aus dem Jahr 1985 am Norman Manley International Airport in Jamaika, wurde dieses 24-teilige Werk neu konzipiert, um historische Narrative der Emigration von Jamaika nach Großbritannien zwischen den 1940er und 1970er Jahren zu reflektieren. Die Galerie präsentiert zudem Werke aus Andersons Serie über jamaikanische Hotels, darunter Grace Jones (2020) und Ashanti Blood (2021), die verlassene, von der Natur zurückeroberte Touristenorte darstellen.

Die Ausstellung ist vom 26. März bis zum 23. August 2026 zu sehen.

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