Zwischen Gebrauch und Kontemplation Elementare Gefü8e. Eine andere Erzahlung der Moderne – Haus Lemke, Mies van der Rohe Haus

Ausstellungsansicht mit Fotografie von Michael Wesely im Vordergrund_Mies van der Rohe Haus_Foto-Michal Kosakowski
Michael Wesely, 1937.2023, Stilleben (28.3.–11.4.2023), aus der Serie »Doubleday«
Michael Wesely, 1937.2023, Stilleben (28.3.–11.4.2023), aus der Serie »Doubleday«

Die Ausstellung ,,Zwischen Gebrauch und Kontemplation – Elementare Geféif3e. Eine andere Erzahlung der Moderne“ im Mies van der Rohe Haus widmet sich der Beziehung zwischen Tongeféif3 und Raum. Bereits im ursprünglichen Wohnraum des Sammlerehepaars Martha und Karl Lemke spielten Kunstwerke neben den Mobeln Ludwig Mies van der Rohes und Lilly Reichs eine wichtige Rolle – darunter befand sich auch eine Bodenvase des deutschen Keramikkünstlers Otto D. Douglas-Hill. In Fortsetzung dieser Raumauffassung konzentriert sich die Ausstellung auf das Zusammenspiel der wohlproportionierten Raume des Hauses mit elementaren, an der Scheibe gedrehten Geféif3en. Durch ihre sinnliche Pragnanz und ,,offene Form“ treten sie in Resonanz mit Haus und Besucher.

lm Zentrum steht die bewusste Wahrnehmung des Hausraums wahrend des Aufenthalts. Man erlebt das Haus anders, stellen die aus dem intendierten Gebrauch genommenen, keramischen Geféif3e doch gewohnte Verhaltensweisen in Frage – in einem ebenso elementaren Gebaude, das zum Museum modernen Wohnens geworden ist. Da die ausgesuchten Objekte – neben ihrer kunstvollen Einfachheit – den Charakter von Gebrauchsgegenstcinden weiterhin tragen, wecken sie zugleich die Vorstellung, mit ihnen würde das Haus auf gewisse Weise bewohnt. Dabei hinterfragen sie konventionell-bürgerliche Vorstellungen, neuerlich ganz in Eintracht mit dem Konzept des Hauses, denn die Sinne scharfen sich, die Geféif3e spiegeln ein ehemals hier mogliches Leben, das sich gewissermaf3en selbst beobachtet.

Matthias Kaiser, Hikidashiguro Chawan, Höhe 5 cm, Durchmesser 6,5 cm, Eisenerz-Holzasche-Glasur, Foto: Jens Preusse
Matthias Kaiser, Hikidashiguro Chawan, Höhe 5 cm, Durchmesser 6,5 cm, Eisenerz-Holzasche-Glasur, Foto: Jens Preusse

Daneben wird, unterstützt durch die historischen Abbildungen des Begleithefts, eine andere Geschichte der Moderne erzahlt – von der Loslosung des keramischen Bauornaments aus der Fassadenflache, seiner ,,Wandlung“ zur Gebrauchskeramik, vom besonderen Gebrauch der Dinge, der Konstituierung des modernen Raums im Vollzug des Wohnens. Das Erleben der Konkretheit des Aufenthalts im Wechselspiel von Geschichte und Gegenwart macht den Aufenthalt für die Besucher der Ausstellung zu einem raumerforschenden Erlebnis: es erlaubt den Nachvollzug von Mies van der Rohes Konzept eines kontemplativen Raums – mit wenigen Gegenstcinden, in Korrespondenz gesetzt mit dem Schauspiel der Natur.

In Kooperation mit der Villa Beer Foundation und der Universitat für angewandte Kunst Wien findet in der Villa Beer {Josef Frank, Wien 1929-30) vom 16.-17.6.2023 ein Workshop mit Studierenden des Keramikstudios statt. Auch in den Raumen von Josef Franks Hauptwerk werden Arbeiten der ausstellenden Keramiker erlebbar. Weitere lnformationen unter www.villabeer.wien.

Symposium: 15. September 2023 im Mies van der Rohe Haus

Bei der Entwicklung eines modernen Formverstcindnisses und Gestaltungswillens stellt die Keramik ein zentrales Moment dar. Ausdruck eines spezifischen Materialwissens und technischen Konnens, vermittelt die getopferte Form zwischen Tendenzen der lndustrialisierung und Rationalisierung. lnsbesondere der Blick nach Asien – etwa durch franzosische Kunstkeramiker ab der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts, die

Secessionisten und die Wiener Kunstgewerbeschule sowie Meisterkeramiker wie Lucie Rie, Bernard Leach, Hans Coper oder die keramische Werkstéitte des Bauhauses – léisst ein differenziertes, heute womoglich verloren gegangenes Verstéindnis einer Formkultur zwischen Kunst und Kunsthandwerk, Neuerung und Beharren auf dem Weg zu einer neuen Wahrnehmung eines modernen Wohn-Alltags zu.

Gerade heute, da eine gewisse Rückbesinnung auf traditionell-handwerkliche Werte – nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem ,,Material Turn“ – eingesetzt hat, ist der auf der Scheibe gedrehte Ton zum schillernden Thema geworden. Stellt die Erfahrung von Geféif3en als Gebrauchsgegenstéinde und Medien einer ,,modernen Elementaritéit“, also einer Reformkultur des Lebens jenseits hermeneutisch-semantischer Verwirrungen nach Ende der Stilform, dar, so fragt das Symposium nach den historisch-theoretischen Hintergründen: Welche Rolle spielt der formal-elementarisierte Gebrauchsgegenstand in einer ornamentlosen Zeit? Wie erhéilt der moderne Raum Gestalt und Sinn durch seinen Gebrauch; welche Bedeutung kommt seiner Ausstattung zu? Wie verlaufen dabei die Trajektorien zwischen Kunst, Handwerk und Technik? Wie verléiuft die Entwicklung der Keramik vom Fassadenschmuck zum Gegenstand im Raum als Teil der modernen Formkultur und des Raums als Thema der Architekturtheorie?

Thomas Bohle, Gefäß mit doppelwandigem Rand, Foto_Frigesch Lampelmayer
Thomas Bohle, Gefäß mit doppelwandigem Rand, Foto_Frigesch Lampelmayer
Uli Aigner, »One Million«, Edition Haus Lemke, Limoges Porzellan, transparent glasiert, Foto: Tom McCallie 2023gedreht, glasiert, Foto: Tom McCallie
Uli Aigner, »One Million«, Edition Haus Lemke, Limoges Porzellan, transparent glasiert, Foto: Tom McCallie 2023gedreht, glasiert, Foto: Tom McCallie

Haus Lemke, Mies van der Rohe Haus

Oberseestraße 60, 13053 Berlin, Germany

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Nachrichten über Kunst, Ausstellungen, Museen und Künstler aus aller Welt. Ein internationaler Blick auf die Kunstwelt. Verantwortlich für den Bereich Kunst: Lisbeth Thalberg
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