Ryan Murphy, der Hitmacher hinter Glee und American Horror Story, baut sein TV-Imperium weiter aus

Von Nip/Tuck – Schönheit hat ihren Preis bis Monster: Der Produzent steuert Marken auf ABC, FX und Netflix – zwischen Franchise-Pflege und neuen Serienstarts

Penelope H. Fritz
Penelope H. Fritz
Penelope H. Fritz ist eine hochqualifizierte und professionelle Autorin mit einem angeborenen Talent, das Wesen von Menschen in ihren Profilen und Biografien zu erfassen. Ihre Worte...
Ryan Murphy. By iDominick - https://www.flickr.com/photos/82924988@N05/15828641031/, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=37145271

Ryan Murphy hat in mehr als zwei Jahrzehnten eine der unverwechselbarsten Handschriften des US-Fernsehens geprägt. Seine Serien reichen von Musical-Comedy über medizinisches Melodram bis zu Hochglanz-Thrillern und True-Crime-Anthologien – und sie haben die Franchise-Logik von Sendern und Streamern neu kalibriert. Nach einem Rekorddeal mit Netflix (2018) kehrte er 2023 zu 20th Television (Disney) zurück, seiner alten Heimat, wo er zuvor Erfolge wie Glee, American Horror Story und American Crime Story etabliert hatte. Ergebnis: Ein Portfolio, das parallel auf ABC, FX und Netflix lebt – eine Seltenheit, die Murphys Ausdauer in einer sich rasch wandelnden Branche unterstreicht.

Debüts und erste Durchbrüche

Ende der 1990er stieg Murphy mit Popular (1999–2001) ins TV ein – eine WB-Teendramedy, in der sich bereits sein Gespür für scharfe Figuren und Tonwechsel abzeichnete. Der eigentliche Durchbruch folgte mit Nip/Tuck – Schönheit hat ihren Preis (FX, 2003–2010): ein provokantes Chirurgendrama, das viele seiner stilistischen Markenzeichen festigte – barocke Twists, moralische Grauzonen, große Set-Pieces.

Zum globalen Massenphänomen wurde er 2009 mit Glee (Fox), gemeinsam entwickelt mit Brad Falchuk und Ian Brennan. Die Musical-Comedy über einen High-School-Chor erreichte Charts, Tourneen – und bescherte Murphy für den Pilotfilm einen Emmy als Regisseur. Glee bewies, dass ein wöchentlicher Musical-Serienhit Publikumserfolg und Kulturdiskurs zugleich auslösen kann.

Das Anthologie-Modell: American Horror Story und American Crime Story

Murphys einflussreichste Innovation ist die moderne, stargetriebene Anthologie, die sich jede Staffel neu erfindet. Mit Falchuk startete er American Horror Story (FX, seit 2011): Jede Season erzählt eine abgeschlossene Horrorgeschichte – vom Haunted House über Asylum und Coven bis Hotel – mit einem wiederkehrenden Ensemble in neuen Rollen. Das Format wurde zum Publikumsmagneten und Trendsetter.

Parallel überführte Murphy den Baukasten ins Nicht-Fiktionale: American Crime Story (FX, 2016–2021). Staffel 1 (The People v. O. J. Simpson) definierte die Marke; Staffel 2 (Der Mord an Gianni Versace) verankerte sie als preisgekröntes Prestigeformat (u. a. Emmy als „Outstanding Limited Series“). Dazwischen erprobte Murphy die Slasher-Satire Scream Queens (2015–2016) und eröffnete mit Feud (seit 2017) eine Anthologie über legendäre Rivalitäten – 2024 reanimiert durch Feud: Capote vs. The Swans.

Die Netflix-Ära: Wagnis mit Milliardenreichweite – und Megatreffer

2018 unterschrieb Murphy einen vielbeachteten Fünfjahres-Pakt mit Netflix. Die ersten Projekte – The Politician (2019–2020), Hollywood (2020) und Ratched (2020) – sorgten für Gesprächsstoff, ohne den Schockwelleneffekt seiner FX-Hits zu erreichen. 2022 folgte der Doppelschlag: Dahmer – Monster: Die Geschichte von Jeffrey Dahmer avancierte zu einem der meistgesehenen Netflix-Titel überhaupt, und The Watcher (2022) eroberte ebenfalls weltweit die Top-Listen.

Netflix formte Monster daraufhin zur fortlaufenden Anthologie. 2024 erschien Monster: Die Geschichte von Lyle und Erik Menendez – erneut mit der Murphy-typischen Mischung aus minutiöser Rekonstruktion und nervenstarkem Drama. The Watcher bleibt als Mystery-Thriller ein zentrales Label im Line-up des Streamers.

Rückkehr zu Disney und eine Strategie auf zwei Fronten

Nach Auslaufen des Netflix-Deals kehrte Murphy 2023 zu Disney/20th Television zurück – mit Zugriff auf ABC, FX und die Streaming-Schiene (Hulu/Disney+), während seine Netflix-Marken weiterlaufen. Seine Strategie wurde zweigleisig: Auf der einen Seite der Disney-Pipeline für Lineares und Streaming im eigenen Haus; auf der anderen Seite globale True-Crime-Anthologien bei Netflix. Ein Zuschnitt, der der heutigen TV-Ökonomie entspricht, in der Plattformen und klassische Sender koexistieren.

ABC: 9-1-1 neu verankert – und ein Medizin-Experiment auf hoher See

Im Broadcast-Segment wechselte 9-1-1 – von Murphy, Falchuk und Tim Minear entwickelt – 2024 von Fox zu ABC und festigte rasch den Donnerstagabend; die 9. Staffel ist für den 9. Oktober 2025 datiert. Der Umzug ins Disney-Gefüge bringt zusätzliche Sichtbarkeit und die unmittelbare Auswertung via Hulu/Disney+.

Mit Doctor Odyssey (ABC, 2024–2025) testete Murphy zudem ein medizinisches High-Concept an ungewöhnlichem Schauplatz: Bordhospital auf einem Luxusliner. Trotz Setting und Cast (u. a. Joshua Jackson, Don Johnson) endete die Serie nach einer Staffel – ein Hinweis darauf, wie wenig Fehlertoleranz der heutige Broadcast-Markt zulässt. 9-1-1: Lone Star schloss Anfang 2025 nach fünf Staffeln ab; parallel bereitet ABC das nächste Franchise-Kapitel mit 9-1-1: Nashville für 2025/26 vor.

FX: Prestige und Gänsehaut

Bei FX bleibt die Kooperation kreativ fruchtbar. American Horror Story setzte 2023/24 mit Delicate den Anthologie-Reigen fort; Feud: Capote vs. The Swans (2024) reaktivierte die Glamour-Rivalitäten mit prominentem Ensemble. Grotesquerie (2024) etablierte einen zeitgenössischen Horror-Thriller mit kriminalistischem Einschlag, linear auf FX und am Folgetag im Stream. Das FX-Standbein fungiert weiterhin als Labor für Form- und Tonexperimente mit unmittelbarem Streaming-Mehrwert.

Auszeichnungen und Ehrungen

Murphy gewann im Lauf seiner Karriere sechs Primetime Emmys – u. a. für Regie (Glee-Pilot) und als Produzent (The Assassination of Gianni Versace: American Crime Story). 2019 erhielt er als Produzent für die Broadway-Neuinszenierung The Boys in the Band einen Tony Award; die Netflix-Filmfassung erschien 2020 unter demselben Titel. 2023 zeichnete ihn die Hollywood Foreign Press Association mit dem Carol Burnett Award für sein TV-Lebenswerk aus. Über Trophäen hinaus gilt Murphy als „Konversationsmotor“: Seine Serien bündeln Debatte, Reichweite und Fortsetzungspotenzial.

Franchise-Bauer mit schlankem Kernteam

Murphys Ausdauer beruht auch auf Methode. Ein fester Kreis enger Partner – Brad Falchuk, Ian Brennan, Tim Minear, Produzentin Alexis Martin Woodall – ermöglicht parallele Fertigungen: Eine Anthologie-Season ist im Writers’ Room, während die nächste dreht und gleichzeitig ein Network-Piloten vorbereitet wird. Insbesondere das Anthologie-Prinzip lockt Top-Darsteller*innen für kurzerfristige Engagements – frische Besetzungen ohne mehrjährige Bindung.

Passgenau auf die aktuelle TV-Ökonomie

Murphys Netflix-Pakt verkörperte die Hochinvestitionsphase der Streamer. Der Schritt zurück zu Disney 2023 spiegelt die Konsolidierung: weniger Blankoschecks, mehr Ausspielen etablierter Marken und multiplattformfähige Planung. Murphys Portfolio – halb IP-Pflege, halb neue Wetten – passt exakt dazu: ABC profitiert vom Dauerbrenner 9-1-1, FX kuratiert Prestige-Marken, Netflix skaliert Monster als global verständliche True-Crime-Anthologie.

Aktuelle Brennpunkte – und der Blick nach vorn

Broadcast. 9-1-1 bleibt ein ABC-Zugpferd und startet im Herbst 2025 in Runde 9. Spin-off. 9-1-1: Nashville weitet das Universum in einem neuen, klar profilierten Setting aus.

Streaming. Auf Netflix hat Monster sich als fortsetzbares Label bewährt: Nach Dahmer – Monster: Die Geschichte von Jeffrey Dahmer setzte Monster: Die Geschichte von Lyle und Erik Menendez die Reihe fort; The Watcher steht als weiterer Spannungstitel bereit.

Kabel/FX. Feud: Capote vs. The Swans reaktivierte die Prestige-Anthologie; Grotesquerie bedient das Publikum für moderne, stilstarke Schauerware.

Das Murphy-Playbook

  • Sofort verständliche Pitches. Der Großalarm-Procedural (9-1-1), die schwimmende Notaufnahme (Doctor Odyssey), das True-Crime-Ereignis (Monster).
  • Anthologie als Talent-Magnet. Staffelweise Neubesetzung erleichtert A-Listen-Casting ohne Langzeitverträge.
  • Signature-Look. Satte Farben, markante Ausstattung, antreibende Musik, Trailer-Momente – eine Optik, die international funktioniert.
  • Industrielle Organisation. Klare Showbibles, parallel arbeitende Teams, straffes Editorial – so entstehen Menge und Konstanz.

Eine Karriere, die sich an Wirkung ebenso misst wie an Quoten

Während manche Showrunner von einem einzig prägenden Hit definiert sind, lässt sich Murphys Laufbahn in Phasen mit jeweils eigenem Eckpfeiler lesen: Glee erweiterte den Mainstream-Begriff des Musical-Wochentakts; American Horror Story brachte die Anthologie zurück in die Mitte; American Crime Story etablierte forensisches Prestige-Drama; Monster und The Watcher demonstrierten die globale Sogkraft von True Crime und Thriller. Diese Marken haben zugleich die Bestelllogik geprägt: mehr Anthologien (geringeres Erneuerungsrisiko, flexibles Casting), die Wiederentdeckung großformatiger Event-Procedurals im Free-TV und exportfähige Labels für Streaming.

Die Zahlen hinter der Erzählung

Die Serienliste zeigt die Spannweite: Nip/Tuck – Schönheit hat ihren Preis; Glee; American Horror Story (samt American Horror Stories); American Crime Story; Scream Queens; 9-1-1 (in Deutschland u. a. als 9-1-1: Notruf L.A.) und 9-1-1: Lone Star; Feud/Feud: Capote vs. The Swans; The Politician; Hollywood; Ratched; Dahmer – Monster: Die Geschichte von Jeffrey Dahmer; Monster: Die Geschichte von Lyle und Erik Menendez; The Watcher; Grotesquerie; sowie der Versuch Doctor Odyssey. Im Filmbereich: Krass (2006; Original: Running with Scissors) und Eat Pray Love (2010); als Produzent außerdem The Boys in the Band (2020). Dazu kommen sechs Emmys, ein Tony (2019) und der Carol Burnett Award (2023) – Referenzen, die auch die nächsten Projekte verkaufbar machen.

Ausblick

Im Herbst 2025 programmiert Murphy erneut auf mehreren Kanälen: 9-1-1 als ABC-Aushängeschild; 9-1-1: Nashville im Startblock; Feud und Grotesquerie für die FX-Identität; Monster und The Watcher als Netflix-Taktgeber. In einer hybriden TV-Welt, in der Lineares und Streaming koexistieren, gelingt nur wenigen Produzenten die Balance aus Franchise-Pflege und Neuentwicklung – Murphy gehört zu ihnen. Und er schreibt seine Regeln weiter um – während die Branche aufmerksam folgt.

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